Der Gast des Kalifen
jeden freien Koffer und jede Tasche bis oben hin mit allem Möglichen voll stopfte. Erst als das Schiff die Leinen losmachte und Richtung Zypern dampfte, fiel mir auf, dass niemand auch nur ein Wort darüber verloren hatte, welche Aufgabe mich an meinem Ziel erwartete.
Im Hafen von Paphos traf ich dann auf ein weiteres Mysterium in Gestalt eines jovialen Herrn Melos, der in einen blauen Anzug gewandet auf dem Kai stand und ein Schild mit meinem Namen in der Hand hielt. Sein dunkles Haar war geölt und glatt gekämmt, und sein Kinn zierte ein Dreitagebart. Er grinste und winkte, als er uns sah; dann sprang er uns aufder Gangway entgegen, um uns die Hände zu schütteln.
»Was ist das?«, wunderte sich Caitlin, die von dem Eifer des Mannes ausgesprochen angetan war. »Du hast mir ja gar nicht gesagt, dass wir einen Begleiter haben werden, Liebling?«
»Es ist vom Anfang bis zum Ende als Abenteuer geplant«, erwiderte ich lächelnd.
Der Mann stellte sich uns vor, und ich verstand sofort, warum ich den ganzen Sommer über ohne Unterlass gelernt hatte: Herr Melos verstand kein Englisch. Doch ich sollte alsbald feststellen, dass es sich bei ihm um den kenntnisreichsten Führer handelte, den man sich vorstellen konnte. Er war ein Archäologe, der sein gesamtes Berufsleben mit Ausgrabungen auf dieser Insel verbracht hatte; es gab so gut wie nichts über Zypern und seine Geschichte, was er nicht wusste. Auch unterhielt er ein kleines Privatmuseum mit angeschlossenem Gästehaus, und beides hatte er bis unters Dach mit Erinnerungsstücken von seinen diversen Ausgrabungen gefüllt. »Die wertvolleren Fundstücke gehen an Museen überall auf der Welt«, erklärte er, als er uns eines Tages durch seine Räume führte. »Aber die kleineren Stücke und die Duplikate behalte ich.«
Die ersten Tage verbrachten wir als einzige Bewohner seines Gästehauses in Herrn Melos' Obhut. Caitlin verliebte sich sofort in unsere Umgebung und verkündete, es sei höchste Zeit gewesen, dass ich sie an einen derart schönen Ort bringe, und überdies beabsichtige sie, nie mehr von hier fortzugehen.
An jenem ersten Tag aßen wir nur ein leichtes Mittagsmahl und warteten aufunser Gepäck, das dann auch schließlich gegen Abend auf einem Eselskarren eintraf. Bis dahin hatten wir beide uns schon an das gewöhnt, was Caitlin die >Zypernzeit< nannte: an die Geschwindigkeit, mit der hier alles vonstatten ging - oder auch nicht. Wann etwas erledigt wurde, schienen die Einheimischen ausschließlich ihren Launen zu überlassen.
Der Grund für mein Abenteuer blieb jedoch weiterhin ein Geheimnis, und ich fragte mich schon, ob ich etwas deswegen unternehmen sollte, als eines Morgens Herr Melos beim Frühstück erschien. Er übergab mir einen Brief, der - wie ich vermute - kurz zuvor angekommen war. Er stammte von Zaccaria und beinhalte-
te den Zweck meiner Reise. Nachdem wir uns von der Fahrt erholt hatten, sollten wir uns zu einem bestimmten Kloster in den Bergen begeben. »Ich werde Sie dorthin bringen«, erklärte Herr Melos, als ich ihn fragte, wo das sei. »Ich kenne den Ort sehr gut. Überlassen Sie das mir. Ich werde mich um alles kümmern.«
Später am selben Morgen sammelten wir unsere Sachen ein und fuhren per Kutsche in die Ausläufer des Troodos-Gebirges, in ein kleines Dorf namens Panayia, wo man ein kleines Landhaus für uns gemietet hatte. Wir erreichten den Ort kurz vor Einbruch der Dämmerung, und Herr Melos führte uns zu dem Haus und stellte uns der Haushälterin vor: seiner Schwester mit Namen Helena, eine kleine, untersetzte, ältere Frau, die wie ein Beo schnatterte, ganz gleich, ob man ihr zuhörte oder nicht. Bei unserer Ankunft hatte sie ein Essen für uns vorbereitet. Sie zeigte uns, wo alles zu finden war, und ließ uns dann zum Essen und Schlafen allein.
Wir verbrachten einen wunderbaren ersten Abend in diesem kleinen Haus, aßen bei Kerzenlicht und hatten die Fenster zum Hof weit geöffnet, wo noch immer Rosen blühten. Am nächsten Morgen führte uns unser liebenswürdiger und kenntnisreicher Gastgeber zum Kloster.
»Agios Moni ist ein sehr alter Ort«, erklärte Herr Melos. »Die Mönche dort besitzen eine Bibliothek mit Manuskripten von unschätzbarem Wert.«
Natürlich waren es diese Manuskripte, die zu sehen ich hierher gekommen war - oder besser: ein Manuskript.
Bei unserer Ankunft wurden wir dem Abt vorgestellt, der uns auf einen Rundgang durch sein kleines, sauberes Kloster führte, welches inzwischen nur noch
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