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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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gegrüßt und als Bruder umarmt. Doch das grausame Schicksal in Form von Bohemunds Dummheit hatte einen erbitterten Wettstreit zwischen uns entfacht. Wenn ich als Erster den Schwarzen Stamm in Händen halten sollte, würde ich ihn weder den Templern noch sonst irgend jemandem geben. Ich hatte einen heiligen Eid geschworen, und nichts und niemand würde mich davon abbringen, ihn zu erfüllen.
    »Bitte, können wir jetzt gehen?«, erkundigte sich Wazim, der pflichtbewusst hinter mir hertrottete.
    »Nicht, solange wir nicht einen anderen Weg ins Schatzhaus gefunden haben.«
    »Aber es gibt keinen anderen Weg. Es ist ein Schatzhaus. Es gibt nur einen Weg hinein.«
    »Das hast du auch vom Harem gesagt.«
    Wir eilten zurück zur ersten Abzweigung, wo der Gang nach rechts und links verzweigte. Die linke Abzweigung führte zur Zisterne; also nahm ich die rechte. »Hier entlang.«
    Beinahe sofort erreichten wir eine Öffnung und dahinter eine Treppe, die nach oben führte - in den Harem, vermutete ich. Am Fuß der Treppe hing eine Fackel in einer Halterung. Ich reichte sie Wa-zim und ging weiter. Nach ein paar Hundert Schritten verengte sich der Gang und schlängelte sich wieder hinab. Vom Hauptgang führten zwei weitere Öffnungen ab, eine nach rechts, die andere nach links. Die zur Linken war nur halb so hoch wie ein Mann, und die zur Rechten war auch nicht viel größer.
    Als wir an der rechten Öffnung vorüberkamen, ließ ein Windhauch die Fackelflamme flackern; die Luft war warm, und ich roch Blumen. Ich steckte die Fackel in die Öffnung hinein, konnte aber nur einen nach unten verlaufenden Schacht und einen anderen vertikal darüber sehen. Ich schob den Kopfhinein und blickte nach oben; deutlich waren die Sterne am anderen Ende des vertikalen Schachts zu erkennen.
    Es schien sinnlos zu sein, noch länger hier zu verweilen; also machten wir uns rasch wieder auf den Weg. Immer steiler ging es bergab; alle paar Schritte erschien nun eine Stufe, und dann zwei oder drei gleichzeitig. An weiteren Abzweigungen oder Öffnungen kamen wir jedoch nicht vorbei.
    Nach einer Weile verließ mich der Mut, und ich glaubte schon, Wazim habe doch Recht gehabt. Da erreichten wir eine lange Treppe, deren Ende wir im Licht der Fackeln nicht erkennen konnten. Wir hielten an.
    »Warum bleiben wir stehen?«, erkundigte sich Wazim, der ein wenig außer Atem war.
    »Hör mal.«
    Den Gang hinunter - ein gutes Stück vor uns, dem Geräusch nach zu urteilen - hörte ich das Plätschern fließenden Wassers - ein Aquädukt vielleicht, das den Palast mit Trinkwasser versorgte.
    »Das hört sich wie ein Fluss an. Wir haben den Palast hinter uns gelassen. Vielleicht ist das der Nil.«
    »Vielleicht«, räumte ich ein und setzte mich wieder in Bewegung. Die Treppe führte immer tiefer hinunter, und bald roch ich Wasser und spürte eine kühle Feuchtigkeit auf meiner Haut.
    Die letzten Stufen schließlich verschwanden unter der Wasseroberfläche. Es ging so steil hinunter, dass ich fast in den Fluss gefallen wäre; erst im letzten Augenblick konnte ich mich noch fangen. Ein rostiger Eisenring ragte aus der Stufe, auf der ich stand; ein Seil war daran festgebunden. Ich bückte mich und zog an dem Seil, doch es war an irgendetwas Schwerem befestigt, das ich allerdings nicht sehen konnte, da es sich jenseits des Lichtkreises der Fackel befand. Ich reichte die Fackel Wazim, packte das Seil mit beiden
    Händen und zog mit aller Kraft daran; ein Knarren ertönte, und ein Boot glitt heran.
    Wazim warf einen Blick auf das Boot und sagte: »Das ist der Kanal des Kalifen al-Hakim. Er führt direkt zum Fluss.«
    »Das weißt du?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe davon gehört. Der Kanal ist vor vielen Jahren angelegt worden - vor hundert oder mehr. Al-Hakim war ein verhasster Mann. Er hat viele große Dinge gebaut -den Palast, den Harem und die Zitadelle -, aber er erhob auch sehr hohe Steuern, um all diese Dinge bezahlen zu können. In jenen Tagen kam es immer wieder zu Unruhen. Es heißt, er hätte diesen geheimen Kanal angelegt, damit er entkommen konnte, wann immer die Menschen sich gegen ihn erhoben.« Er deutete auf das Wasser und fügte hinzu: »Solche Dinge hört man im Palast. Bis jetzt habe ich das alles allerdings nur für Geschichten gehalten.«
    Die Zeit lief uns davon. In jedem Augenblick, den wir verschwendeten, kamen die Templer mit ihrer Arbeit einen Schritt voran, während ich zunehmend ins Hintertreffen geriet. So rannten wir wieder

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