Der Gast des Kalifen
mehr als ein Alkoven und enthielt nichts außer ein paar Tonkrügen, und hoch oben in der Wand befand sich ein halb offenes Lüftungsgitter. Die anderen beiden Räume waren mit zeremoniellen Waffen und Rüstungen gefüllt: Stapel bemalter Holzschilde, Schwerter mit gold- und juwelenbesetzten Scheiden und prächtige Helme. Nachdem ich auch den letzten Raum untersucht hatte, sprang ich auf die andere Seite der Galerie, um dort meine Suche fortzusetzen.
Mit zunehmender Verzweiflung betete ich: »O großer König des Himmels, wenn dir die Ehre deines Namens etwas wert ist, dann hilf mir jetzt, sie wiederherzustellen.«
In Wahrheit wusste ich nicht, was ich damit meinte; die Worte kamen mir einfach in den Sinn, und ich sprach sie aus. Die Antwort kam sofort.
»Da'ounk!«, riefWazim Kadi hinter mir. Ich drehte mich um und sah den kleinen Sarazenen neben der Säule stehen; das Feuer brannte hell. Er deutete aufeine Kammer aufder gegenüberliegenden Seite des Eingangs. »Seht!«
Ich folgte seinem Finger und sah das Glühen einer Fackel, das in der Kammer verschwand.
»Hast du gesehen, wer das war?«, rief ich und rannte auf die Kammer zu.
»Es war ein Vater«, antwortete Wazim.
Zumindest glaubte ich, dass er das gesagt hatte; es ergab keinen Sinn für mich, doch mir blieb keine Zeit für weitere Fragen. Ich rannte zur Kammer und blickte hinein. Es war ein großer Raum mit mehreren von Säulen umrahmten Seitenschiffen, wo irgendjemand alle möglichen Gegenstände zu hohen Haufen zusammengeworfen hatte. Nirgends war eine Spur von dem Fackelträger zu sehen, den Wa-zim entdeckt hatte. Hatte uns das Licht einen Streich gespielt? Hatten wir uns das alles nur eingebildet? Dann sah ich den goldumrandeten Kasten, der Bohemunds Kopfenthielt, und alle Fragen waren wie weggeblasen. Nachdem ich die groteske Trophäe den ganzen Weg von Kadiriq nach Damaskus geschleppt hatte, erkannte ich sie im Schlaf.
Ich ging zu dem entsprechenden Haufen, und in ebendiesem Augenblick erklang ein weiteres lautes Krachen von der Tür her; diesmal wurde es von einem Knarren und Ächzen begleitet, gefolgt von
einem lauten Klappern. Ich vermutete, dass ein Teil der Tür nachgegeben hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Templer und ihre Verbündeten, die Fedai'in, die Tür durchbrechen würden.
Ich stürzte mich auf den Schatzhaufen, warf die Fackel auf den Boden und begann, verschiedene Gegenstände herauszuziehen und beiseite zu werfen. Viele der Gegenstände erkannte ich, und das gab mir Mut; aber als der Haufen immer kleiner wurde, ohne dass ich etwas fand, verließ mich die Hoffnung wieder.
Erneut ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen gefolgt von einem Ächzen, als ein weiterer Teil der eisenbeschlagenen Tür nachgab. Einen Augenblick später flackerte meine Fackel ein letztes Mal auf und erlosch. Ich rannte zur Tür zurück und rief Wazim zu, er solle mir ein brennendes Scheit aus dem Feuer bringen.
»Sie sind fast da«, sagte mein treuer Diener, als er mir das brennende Holzstück reichte.
»Und wir sind fast fertig«, erwiderte ich. »Die Reliquie ist hier irgendwo.«
Aus der Hauptgalerie ertönte ein weiteres Krachen. Ich hörte das Holz splittern, als immer größere Teile herausgebrochen wurden.
»Was soll ich tun, Da'ounk?«
»Bete.«
Zu meiner großen Überraschung faltete mein kleiner Wärter und Diener die Hände, schloss die Augen und begann, leise zu singen. Ich überließ ihn seinen Gebeten, nahm den brennenden Holzscheit, kniete mich neben den Kasten mit Bohemunds Kopf und öffnete ihn.
Das flackernde Licht tanzte über das einbalsamierte Gesicht des Fürsten, was den Anschein erweckte, er wache gerade aus einem friedlichen Schlummer auf. »Möge Gott mir verzeihen, was ich jetzt tun werde«, sagte ich und hielt den Scheit ans steife Haar des Fürsten.
Die daraus entstehende Flamme war weit heller und größer, als ich erwartet hatte; aufgrund des Balsamierungsöls fing das wächserne Fleisch sofort Feuer. Einen Augenblick lang beobachtete ich, wie die Flammen über das Gesicht leckten, Wimpern und Augen-
brauen verbrannten und die friedlichen Züge in ein unheimliches Licht tauchten. Zufrieden, dass diese Flamme nicht so rasch ausgehen würde, nahm ich den Kasten und trug ihn rasch zum nächsten Schatzhaufen. Dort, im Licht von Bohemunds brennendem Kopf, begann ich erneut, die Schätze zu durchwühlen - diesmal begleitet von Wazims gemurmelten Gebeten, die er nur einmal kurz unterbrach, um mich zur Eile zu
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