Der Gast des Kalifen
ich erkannte, dass es Schlamm war.
Der Grund des Kanals war mit weichem Schlamm bedeckt. Kurze Zeit später konnte ich stehen und meinen Kopf über Wasser halten. »Sieh her, Wazim«, ermutigte ich meinen treuen Freund. »Es wird immer flacher. Versuch zu stehen.«
Wir bewegten uns weiter, und der Wasserstand sank ständig, während der Kanal immer breiter wurde; schon bald wateten wir nur noch durch hüfthohes Wasser. Den Schwarzen Stamm schob ich nach wie vor vor mir her, und es dauerte nicht mehr lange, da sah ich undeutlich etwas Graues vor mir. Nach so langer Zeit in völliger Dunkelheit traute ich zunächst meinen Sinnen nicht; aber der helle Fleck wurde immer deutlicher. Auch Wazim bemerkte es. »Da vorne ist es heller. Lob sei Gottes allmächtigem Sohn, Jesus Christus«, sagte er und bekreuzigte sich auf östliche Art.
»Du überraschst mich, Wazim.«
»Warum? Habt Ihr etwa geglaubt, Ihr wärt der einzige Christ in Ägypten?« Er lächelte mich müde an. »Die Kopten gehören vielleicht nicht zu den mächtigsten unter den Christen, doch wo es uns an Kraft mangelt, glänzen wir durch Verstand.«
»Du wusstest. Die ganze Zeit über wusstest du, dass ich ein Christ bin, und doch hast du nie ein Wort gesagt. Warum? Warum hast du es mir nicht gesagt oder es mir sonst irgendwie zu verstehen gegeben?«
»Ein Christ am Hofe des Kalifen muss sehr vorsichtig sein, wenn er Wert darauf legt, den Kopf auf den Schultern zu behalten.«
Der Wasserstand fiel weiter, und der Kanal verbreiterte sich immer mehr. Ich bemerkte, dass die Decke des Tunnels aus blankem Fels bestand und nicht aus Ziegeln, und es dauerte nicht mehr lange, da reichte uns das Wasser nur noch bis zu den Knien. Ich hob den Kreuzesstamm aus dem Wasser und warfihn mir über die Schulter.
Wir gingen weiter, und das Licht wurde stetig heller. Ich vermutete, das lag daran, dass es draußen heller geworden war. Während wir uns unter der Erde abgeplagt hatten, war in der Welt die Sonne aufgegangen. Die Menschen machten sich an ihre tägliche Arbeit, und ich ... ich war frei und auf dem Weg nach Hause und hatte den Preis gewonnen, den zu retten ich ausgezogen war.
Die Befriedigung, die ich ob dieses Erfolgs empfand, wurde allerdings nur ein paar Schritte weiter wieder gedämpft, als ich bemerkte, dass ich mein Papyrusbündel verloren hatte.
»Wazim, das Bündel, das ich dir gegeben habe. Wo ist es?«
Wazim blieb stehen und klopfte seine Brust und seinen Rücken ab. »Ich weiß es nicht, mein Freund.« Er drehte sich um und blickte in die Dunkelheit des Tunnels hinter uns. »Ich glaube, der Riemen hat sich gelöst, als ich aus dem Boot gefallen bin.« Er blickte mich traurig an. »Es tut mir Leid, Da'ounk.«
»Macht nichts«, erwiderte ich schwach und trauerte um den Verlust. All die Zeit, die ich dieser einen Arbeit gewidmet hatte, und nun ... weg. Wie lächerlich, um so ein armseliges Ding zu trauern, dachte ich. Der Brief- oder das Buch, wenn man es so nennen will -war nur ein schwacher Versuch, mich ob meines Versagens zu trösten, und alles in allem betrachtet, war es wohl weit besser, wenn ich in Fleisch und Blut wieder nach Hause zurückkehren konnte. Aber auch wenn es dumm erscheinen mag, so trauerte ich doch um den Verlust von etwas, worum sich monatelang all meine Gedanken gedreht hatten. Ich fühlte mich, als wäre gerade ein Teil meines Lebens einfach so weggeworfen worden.
»Schaut her, Da'ounk«, sagte Wazim und riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte zu der Stelle, auf die er deutete, und sah Sonnenlicht auf der blassgrauen Steinwand ein paar Hundert Schritt vor uns; kurze Zeit später erreichten wir hinter einer Biegung unser Ziel.
Ein massives Eisengitter versperrte den Kanalausgang, aber es war alt und rostig, und überall waren bereits Löcher zu erkennen. So dauerte es nicht lange, bis wir eines dieser Löcher weit genug vergrößert hatten, um uns hindurchquetschen zu können. Noch einige Schritte um einen großen überhängenden Felsen herum und wir standen am schilfbewachsenen Ufer des Nils und blickten mit zusammengekniffenen Augen in den Sonnenaufgang.
Unsere unterirdische Reise hatte uns zu einem Platz am Fluss unmittelbar unter der Stadtmauer geführt, die sich wie eine steile, ockerfarbene Klippe über uns erhob. Die Sonne ging gerade auf und warf ihre goldenen Strahlen übers Land, und die Luft war bereits warm und schwer. Die hohen Schilfhalme und das Flussgras wiegten sich in der leichten Brise, und ich hörte das
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