Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
Sturz auf uns wartete. Das behielt ich jedoch für mich, da ich Wazim nicht unnötig ängstigen wollte. »Hier«, sagte ich und klopfte mit der Hand auf den Bootsrand. »Gib mir den Kreuzesstamm, und dann werde ich dir hinunterhelfen.«
    Wazim murmelte etwas in einer unverständlichen Sprache vor sich hin und reichte mir die Reliquie, um sich dann darauf vorzubereiten, aus dem Boot zu klettern. Er packte die Kante und wollte gerade aufstehen, als das Boot plötzlich wieder herumgeworfen wurde. Erneut prallte unser Gefährt gegen die Wand, und der arme Wazim verlor das Gleichgewicht. Er stieß einen entsetzten Schrei aus, ließ meine Hand los und fiel ins Boot zurück.
    Ich hörte das trockene Krachen von verrottetem Holz gefolgt von lautem Platschen, als losgebrochene Holzstücke ins Wasser fielen, und das altersschwache Gefährt begann sich aufzulösen. Ich packte ein Wrackteil, rief nach Wazim und schwamm in die Richtung, aus der ich sein Husten und Prusten hörte.
    Plötzlich riss das Wasser mit schier unglaublicher Kraft an mir. Ich spürte, wie zuerst meine Füße den Grund berührten; dann schabte ich von der Strömung unbarmherzig vorwärts getrieben mit Knien und Schienbeinen darüber. Ich rief Wazim zu, den Kopf über Wasser zu halten, und fast im selben Augenblick stürzte ich über den Rand des Wasserfalls.
    Den Schwarzen Stamm fest umklammernd fiel ich seitwärts hinab und prallte auf ein paar Steinblöcke im Flussbett. Ich wurde unter Wasser gezogen und von Wrackteilen getroffen, als unser zerstörtes Boot ebenfalls den Wasserfall hinunterfiel. Der Schwarze Stamm entglitt meinem Griff, und ich wurde immer und immer wieder herumgewirbelt.
    Alles war nur noch Dunkelheit und Chaos. Ich vermochte weder zu sagen, wo ich war, noch in welcher Richtung die Wasseroberfläche lag. Ich wedelte mit den Armen, versuchte verzweifelt aufzusteigen, doch die Strömung riss mich mit sich. Meine Lungen brannten. Meine Brust schmerzte. Wenn ich nicht bald atmete, würde ich platzen.
    Und dann prallte ich mit etwas Hartem zusammen - einer festen Masse, die mit mir im Wasser trieb. Obwohl ich noch immer blind und verwirrt war, wusste ich, dass ich das Heilige Kreuz wieder gefunden hatte. Ich schlang meine Arme darum und ließ es mich an die Oberfläche führen.
    Ich klammerte mich ans Heilige Kreuz, keuchte, rang nach Luft und dankte der Schnellen Sicheren Hand für die Rettung aus höchster Not.
    Dann spürte ich, wie sich etwas im Wasser wand, als ich daran vorübertrieb. Ich streckte die Hand aus, bekam Wazims Gewand zu fassen und zog ihn hoch. Er hustete, spie Wasser und schlug wild um sich.
    »Ruhig, Wazim!«, schrie ich. »Ich habe dich. Sei ruhig! Du wirst nicht ertrinken.«
    Das musste ich noch mehrere Male wiederholen, bevor er endlich aufhörte, um sich zu schlagen; doch schließlich verließ ihn der
    Kampfeswille, und er gestattete mir, ihn über Wasser zu halten.
    Das Heilige Kreuz in der einen und Wazim in der anderen Hand -und während ich gleichzeitig versuchte, meinen Kopf über Wasser zu halten -, blieb mir nichts anderes übrig, als mich von der Strömung treiben zu lassen, bis das Wasser ein wenig von seiner Kraft und Wildheit verlor. Eine Zeit lang trieben wir noch weiter, doch schließlich prallte ich mit dem Fuß gegen die Kanalwand. Kurz ließ ich Wazim los und tastete nach einem Haltegriff in der Dunkelheit. »Hier Wazim«, sagte ich und zog ihn an die Wand. »Wir sind gerettet. Halt dich hier dran fest.«
    Wir waren in der Tat gerettet. Die heilige Reliquie ausgestreckt haltend arbeitete ich mich an der Wand entlang, tastete mich von einem Griff zum nächsten und redete die ganze Zeit über beruhigend auf Wazim ein. So bewegten wir uns scheinbar eine Ewigkeit voran. Es ist schon seltsam, aber in vollkommener Dunkelheit, wo einem nichts hilft, den Laufder Zeit oder die Entfernung einzuschätzen, scheint die Zeit stillzustehen. So gab es für uns in diesem Augenblick weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft, sondern nur eine feuchte, endlose Gegenwart.
    Ich weiß wirklich nicht, wie lange wir uns aufdiese Weise vorwärts bewegt haben; aber schließlich kamen wir an eine Stelle, wo ich einen neuen Griff zu packen suchte, doch ich spürte nicht Steine, sondern feuchtes Moos oder Schleim unter den Fingern und rutschte ab. Mein Kopfversank unter der Wasseroberfläche. Ich trat mit den Beinen, um wieder nach oben zu kommen, und spürte etwas Weiches unter meinen Füßen. Es dauerte einen Augenblick, bis

Weitere Kostenlose Bücher