Der Gast des Kalifen
sei. »Dieser Junge hat Angst, dass wir ohne ihn verschwinden könnten«, sagte er. »Immerhin haben wir jetzt sein Gold; wir brauchen ihn nicht mehr.«
»Unser Freund tut gut daran, vorsichtig zu sein«, erwiderte ich. »Von uns vieren hat er am meisten zu verlieren. Ich denke, wir sollten ihm sein Misstrauen nicht verübeln, bis er uns besser kennen gelernt hat.«
»Ich denke, wir sollten ihm sagen, dass wir weder Diebe noch Halsabschneider sind«, erklärte Sarn. »Sonst wird er uns irgendwann noch vor Müdigkeit umfallen, weil er uns Tag und Nacht beobachtet.«
»Du sagst es ihm«, erklärte ich. »Er wird dir für deine Sorge dankbar sein.«
Als er sah, dass ich das ernst meinte, näherte sich der Steuermann dem jungen Herrn und erklärte ihm in holprigem Latein, dass wir christliche Pilger und keine Diebe seien, die darauf aus waren, ihm den Bauch aufzuschlitzen und ihn bei der erstbesten Gelegenheit über Bord zu werfen. Was Roupen aus dieser Versicherung machte, vermag ich nicht zu sagen; doch Sarn schien sichtlich zufrieden damit zu sein, seine unschuldigen Absichten bekundet zu haben.
Wir wiesen unserem edlen Passagier das Deck als Schlafplatz zu. Sarn schlief auf der Ruderbank und Padraig und ich auf dem Pier. Als der Hafen am nächsten Morgen wieder zum Leben erwachte, kauften wir alles, was wir brauchten, und nach einem kurzen Gebet machten wir uns auf den Weg den Fluss hinauf.
inen Fluss hinaufzufahren ist anstrengender, als über das offene Meer zu segeln. Es hat jedoch auch seine Vorteile. Wenn der Wind einmal abflaut, kann man noch immer aussteigen und am Ufer entlanggehen - Gleiches gilt bei starker Strömung oder entgegengesetztem Wind - und das Boot ziehen. Auch fließt ein Fluss immer in dieselbe Richtung, sodass man sich nur schwer verirren kann. Die Franken nennen diesen Fluss Seine, und viele Tage lang war er unser Begleiter.
Roupen sagte, die nächste Stadt, durch die wir kommen würden, wäre Paris, die wir in fünf Tagen erreichen müssten. Tatsächlich er-reichten wir sie sogar schon nach vier Tagen. Wir hielten gerade lange genug dort an, um unseren Proviant aufzustocken, dann machten wir uns sofort wieder auf den Weg, denn die Händler von Paris waren ein hochmütiges Pack, das ein wenig zu sehr nach dem Gold in unseren Börsen gierte.
Nachdem wir uns erst einmal an diese neue Art des Reisens gewöhnt hatten, empfand ich die Tage als ausgesprochen angenehm. Manchmal marschierten, manchmal segelten wir; gelegentlich schleppten wir auch das Boot mit Tauen am Ufer entlang. Auch wenn das gegen die Strömung bisweilen recht mühselig war, so konnte sich doch keiner von uns beschweren, da wir uns regelmäßig abwechselten. Dennoch waren wir nach einem Tag Treideln von ganzem Herzen froh, dass wir nur ein kleines Fischerboot und kein voll beladenes Langschiff hatten.
Das Wetter blieb größtenteils schön, und es wurde immer trockener, je weiter wir ins Herz des Frankenlandes vordrangen. Auf dem Weg kamen wir durch mehrere Siedlungen. Einige waren groß und besaßen steinerne Kirchen; die meisten jedoch waren ausgesprochen klein. Üblicherweise bestanden sie aus einer kleinen Ansammlung armseliger Hütten entlang einer verschlammten Straße, winzigen Feldern und ein, zwei Viehställen. Wann immer es nötig war, kauften wir frische Vorräte. Oft handelten wir mit den Bauern selbst, meist jedoch mit ihren Frauen, die freilich weit mehr auf ihren Vorteil bedacht waren.
Auf diese Art bekamen wir frische Eier, Milch, Brot, Fleisch und Käse und, je weiter der Sommer fortschritt, auch Obst: Äpfel, Pflaumen, Birnen und Beeren. Durch diese gute Nahrung begann der junge blasse Herr schon bald, seine Gesundheit zurückzugewinnen. Sein Gesicht nahm wieder Farbe an, und seine Kraft kehrte zurück. Dennoch ermüdete er noch immer weit rascher als der Rest von uns; aber was er tun konnte, das tat er auch, und das, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu beschweren.
Da Roupens Magen kein fettes Fleisch vertragen konnte, versorgten wir ihn mit Flussfischen. Sarn entwickelte ein bemerkenswertes Ge-schick darin, Forellen zu fangen, die wir beinahe ebenso sehr genossen wie die Makrelen daheim. Sarns Fähigkeit, die Fische aus dem dunklen Wasser zu locken, schien Roupen zu faszinieren. Er beobachtete Sarn mit solcher Konzentration, wann immer dieser die Leine auswarf, dass der Seemann es sich schließlich auf sich nahm, dem jungen Armenier das Fischen beizubringen. Im Austausch dafür bot Roupen Sarn
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