Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
gezogen hatte, wuchteten wir den Bug mit langen Stangen auf den Wagen und befestigten es mit Tauen. Die Ochsen stemmten sich in ihr Joch und zogen das Boot ein Stück das Ufer hinauf, bis wir auch das Heck auf den Wagen schieben konnten. Dann legten wir unsere Ausrüstung ins Boot zurück und sicherten den umgelegten Mast an Bug und Heck. Als wir schließlich fertig waren, war die Sonne bereits untergegangen, und wir hatten Hunger. Dennoch war ich begierig darauf, wenigstens noch ein Stück des Weges zurückzulegen, bevor wir für die Nacht ein Lager aufschlugen. Also setzten wir uns in Bewegung.
    Da es schon seit vielen Tagen nicht mehr geregnet hatte, war der Weg, den die Schlepper benutzten, trocken und fest. Wir verließen die Bäume, die am Ufer wuchsen, und stiegen einen steilen, gewundenen Pfad empor, der zum Gipfel des ersten Hügels führte. Die Hitze des Tages schwand rasch dahin, und die Luft war erfüllt vom Rufen nach Hause fliegender Vögel.
    Die Ochsen bewegten sich langsam auf ihren stämmigen Beinen, und ihre Hufe wirbelten bei jedem Schritt kleine Staubwolken auf.
    Der Schlepper ging mit der Gerte in der Hand neben ihnen her und trieb sie mit Pfiffen und Zungenschnalzen an. Er war eine einfache, bescheidene Seele - einer jener Männer, die zwar nicht gerade mit Verstand im Überfluss gesegnet sind, dies jedoch durch ihre Freundlichkeit wieder wettmachen. Dodu besaß eine derart liebenswerte Natur, dass ich ihm seine Verspätung rasch verzieh, und schon bald fühlte ich, wie der Frieden des Abends mich erfüllte. Wir marschierten eine Weile, bis wir den Gipfel des ersten Hügels erreichten. Ich blickte zurück ins Tal und den Weg hinunter, den wir gekommen waren.
    Der Fluss war hinter den Bäumen verborgen, die im Dunklen eine zerklüftete schwarze Wand bildeten, welche sich bis ins Zwielicht hinein erstreckte. Die milde Nachtluft duftete nach trockenem Gras und Salbei, und vom Tal wehte der Geruch der Kochfeuer zu uns herauf. Eine Steinmauer trennte die Straße von einem kleinen Feld. Es war nun schon recht dunkel, sodass wir uns entschieden, hier unser Nachtlager aufzuschlagen. Sarn machte Feuer, und Padraig kochte einen Eintopf aus getrockneten Bohnen und Hafer, zu dem wir hartes Schwarzbrot aßen.
    Nach der Mahlzeit sang Padraig ein Lied, und Dodu erzählte uns eine Geschichte über einen Mann aus dem Dorf, der im Moos neben einem Kuhstall ein Bild der Heiligen Jungfrau gefunden hatte. Alle kamen herbei, das Wunder zu bestaunen, einschließlich des Herrn des Landes und des örtlichen Priesters, die den Fund zu einem göttlichen Zeichen erklärten, dem es Respekt zu zollen galt.
    Das Weib des Finders war im Winter zuvor erblindet, berichtete Dodu, und als man nun die Frau vor den Kuhstall brachte, begannen ihre Augen zu brennen. »Wie ein Wasserfall strömten ihr die Tränen über die Wangen«, sagte der Schlepper. »Sie schrie und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, und als sie den Kopf wieder hob, war ihr Augenlicht wiederhergestellt.«
    Roupen hörte aufmerksam zu und stocherte beiläufig mit einem Stock im Feuer herum. »Wurde sonst noch jemand von dem wundersamen Bild geheilt?«, fragte er, und sein Gesicht leuchtete in der
    Glut des Feuers.
    »Leider nein«, antwortete Dodu. »Aber natürlich verbreitete sich die Kunde rasch, und von überall her kamen die Kranken und Lahmen, um das Bild zu sehen.«
    »Was ist passiert?«, erkundigte sich Sarn.
    »Es regnete, und das Bild wurde weggespült. Seit diesem Tag«, schloss er, »ist es nie wieder gesehen worden.«
    Sarn nickte weise, und Padraig lächelte vor sich hin; doch Rou-pen stieß ein Geräusch aus, als wäre ihm ein Käfer in die Nase gekrochen. Der Schlepper warf dem jungen Herrn einen entrüsteten Blick zu. »Was? Bezweifelt Ihr etwa, dass ich die Wahrheit gesagt habe? Ich kann Euch den Kuhstall zeigen und auch die Frau!«
    »Ich bin sicher, dass du das kannst«, erwiderte Roupen und fuhr fort, im Feuer herumzustochern. »Ich bezweifele deine Worte nicht im Mindesten. Es erscheint mir nur recht seltsam, dass Gott sich so viel Mühe mit Moos und einem geheimnisvollen Bild machen sollte. Wenn er das Augenlicht der Frau wiederhergestellt sehen wollte, warum hat er sie dann nicht einfach geheilt? Oder besser noch: Warum - wenn er denn der armen Frau helfen wollte - hat er sie überhaupt erblinden lassen?«
    »Wer seid Ihr«, verlangte Dodu wütend zu wissen, »dass Ihr behauptet, die Wege des Allmächtigen zu kennen?«
    »Ich bin

Weitere Kostenlose Bücher