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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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denn außer meinem Leben noch zu verlieren, wo ich doch alles andere schon verloren habe?
    So kam es, daß ich meinen hundertsechs Jahre alten Körper auf der Rampe ausstreckte, während um mich herum die Welt verrückt spielte. Schattenhafte Gestalten rannten hierhin und dorthin, Menschen schrien, eine Tränengasgranate flog Dwayne vor die Füße, rollte ein Stückchen, explodierte unter dem kurzen Röckchen eines der Cheerleader-Mädchen und entließ eine dünne weiße Wolke, die Trooper fummelten an ihren Gasmasken herum, der Baptistenpfarrer fluchte und hustete, D. J. mußte sich erbrechen, und der Rebbe, jetzt ohne Hut, hielt ihr den Kopf. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Dwaynes Herzblatt Shirley von zwei Troopern weggeschleift wurde, die doppelt so groß waren wie sie; ich konnte ihre Schuhe nicht sehen, aber ich wußte, daß sie dicke, eisenbeschlagene Sohlen haben mußten; ich sah Mayday inmitten dieses Wahnsinns friedlich pissen, ich sah Word Perkins mit einem irren Grinsen im Gesicht die Luft aus einem riesigen Reifen lassen, ich sah Rain unter dem Führerhaus des riesigen Bulldozers auf und ab hüpfen, sich die Augen reiben und den Fahrer anschreien: »Da liegt ein Mensch auf der Rampe. Hast du mich verstanden, du gottverfluchter Scheißkerl? Du wirst einen Homo chaoticus ermorden, wenn du nicht aufpaßt.«
    Schwer zu sagen, ob der Fahrer sie in dem Chaos hören konnte oder ob er ihr, falls ja, einfach nicht glaubte. Wie auch immer, er fuhr jedenfalls mit seinem Bulldozer weiter rückwärts auf die Rampe zu. Ich verdrehte den Kopf, schaute nach oben und sah, wie sich die riesigen Ketten über den Rand der Ladefläche schoben und langsam nach unten kippten, auf die Rampe zu, auf der ich lag. Ich wandte den Kopf ab. Ich würde mich nicht von der Stelle rühren, aber ich hatte auch nicht den Nerv hinzusehen. Ich spürte, wie mir am ganzen Körper heiß wurde, und dachte, daß vielleicht doch geschmolzenes Metall zwischen mir und China war, bis ich merkte, daß ich in ein unglaublich helles Licht blinzelte und jemand schreien hörte, alle sollten aus dem Weg gehen, damit er schießen könne. Ich stellte mir vor, die Trooper würden mir eine Kugel ins Herz schießen, bevor der Bulldozer den Körper zermanschte, in dem es schlug, was ich für die amerikanische Art der Verhinderung von Grausamkeit an einem Homo sapiens hielt.
    Ich hörte einen unirdischen, an Mayday erinnernden Jauler von Rain: »Runter von der gottverdammten Rampe!«
    Ich hörte, wie ich mir sagte, das hier sei ein großer Fluß, und ich war glücklich, auf meine alten Tage doch noch einen gefunden zu haben.
    Und dann wich ganz plötzlich das Pandämonium einer so abgrundtiefen Stille, daß es schien, als hätte die Erde auf einmal aufgehört sich zu drehen. Ich fragte mich, ob so etwas möglich war, ich fragte mich, ob dies das reine, unverfälscht zufällige Ereignis in der Geschichte des Universums war, nach dem ich suchte. Dann sah ich, wie dem Rebbe die Augen aus den Höhlen traten, und ich hörte deutlich die Wörter »oj« und »vej« auf das Pflaster spritzen wie zwei dicke Tropfen aus einem Wasserhahn, und mir dämmerte, daß ich den Eastern Parkway Or Hachaim Hakadosch hören konnte, weil ich den Motor des Bulldozers nicht mehr hörte. Ich wandte den Kopf, um wieder die Rampe hinaufzuschauen, aber ich konnte nichts sehen, und dann begriff ich, warum ich nichts sehen konnte: Die Panzerkette war nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und verstellte mir den Blick. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie ein Mädchen an den Haaren durch die Landschaft meines unzerquetschten Herzens geschleift wurde, und ich dachte, wo du auch sein magst, ich habe meine Schuld bei dir beglichen, und dann zog mich Rain an den Füßen und half mir, unter der stählernen Raupe hervorzukriechen und von der Rampe zu klettern, und hysterisch schluchzend klammerte sie sich an mich. Dann wurde ich ohnmächtig.

5. KAPITEL
    Die Türen der drei mit Maschendraht abgetrennten Zellen sind offengelassen worden, damit die achtundsechzig Menschen, die bis zur Verhandlung festgenommen sind, die Toiletten benutzen können, ohne den Sheriff zu belästigen, den man durch die offene Tür hören kann, die zum Büro führt. Er versucht gerade herauszukriegen, in welcher Richtung Jerusalem liegt. »Wenn die Sonne scheint, was, äh, nicht alle Tage vorkommt, geht sie in dem Fenster da auf«, sagt der Sheriff, Chester Combes, »und das heißt, daß von Rechts wegen irgendwo da

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