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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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unberechenbar, und demzufolge von Anfang an chaotisch? Wie war die zeitliche Abfolge?«
    »Adonai eloheinu emes …«
    »There once was a wrestler from Baltimore …«
    »Ihr suchet Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, und ist nicht hier. Siehe da, die Stätte, da sie ihn hinlegten.«
    Word Perkins reißt sich angewidert das Hörgerät aus dem Ohr. »Ich kann Leute nich ausstehn, die auf dem sitzen, was sie wissen.«
    »Die zeitliche Abfolge läßt sich oft nicht bestimmen«, sagt einer der Wissenschaftler zu Lemuel. »Was war zuerst da, die Henne oder das Ei?«
    »Ich neige dazu, Ihnen recht zu geben«, sagt der Wissenschaftler, der ursprünglich die Frage gestellt hat. Er nickt dem baptistischen Geistlichen zu. »Manche Dinge gehen scheinbar anderen Dingen voraus. Aber tun sie das wirklich? Ist Jesus aus dem Grab verschwunden, bevor der Stein vom Eingang der Höhle weggerollt wurde, woraus wir den Schluß zu ziehen hätten, daß Er auferstanden ist? Oder ist Er hinterher verschwunden, was uns zu dem Schluß führen würde, daß Er die Kreuzigung irgendwie überlebte und auf seinen eigenen zwei Beinen davonging?«
    Lemuel dreht sich um und sieht zu Rain hinüber, die mit Mayday auf dem Schoß auf einer Matratze sitzt und in ein leises Gespräch mit Dwayne vertieft ist. Shirley kauert hinter Rain und flicht einen Zopf aus ihrem Pferdeschwanz. Rains Gesicht ist abgezehrt, die Augen wirken dunkel und verstört, als sähen sie, was hätte passieren können. Ihre hohlen Wangen tragen noch die Spuren eines Tränenstroms, so scheint es Lemuel. Er wendet sich wieder den Kollegen zu. »Es stimmt, daß Entscheidungen, die jetzt, heute, getroffen werden, die Eigenart haben, sich selbst in die Vergangenheit zurückzuprojizieren«, sagte er und reibt sich mit Daumen und Mittelfinger die Brauen, um einen Migräneanfall in Schach zu halten. Mit einem verlegenen Grunzen paraphrasiert er Einstein: »Die Theorie bestimmt, was wir beobachten.«
    »Mi kamochu be’olim adonai, mi kamochu ne’edor bakodesch, nor ah tehilot osehpeleh …«
    »There once was a lady from Tulsa. «
    »Und sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.«
    »Halten Sie es nicht für möglich, etwas unabhängig von Theorie zu beobachten?« fragt einer der Kollegen Lemuel.
    »Die Tatsache«, antwortet ihm Lemuel, »daß Sie die Beobachtung für eine nützliche Methode halten, ist bereits eine Theorie.«
    »Wir sind Gefangene der Theorie«, sagt ein anderer niedergeschlagen.
    »Hey, ich sag euch, von wem wir Gefangene sind«, meldet sich Rain, während sie Mayday die ausgefransten Ohren krault und mit dem Kinn zum Hilfssheriff zeigt, der in der Tür aufgetaucht ist. »Von den kapitalistisch-militaristischen Typen, die denken, sie können ihren gottverdammten radioaktiven Müll auf uns abladen.«
    »Bravo, Babe«, sagt Dwayne.
    »Baruch atah adonai, gojelIsrael …«
    »There once was a girl scout from Milwaukee …«
    »Wie gesagt«, versucht Professor Holloway den Faden wieder aufzunehmen, »die Etrusker, zumal die frühen Etrusker der Periode von 900 bis 800 vor Christus, hielten Weihgaben..«
    Der Hilfssheriff nähert sich mit einer Klemmtafel in der Hand dem Käfigbezirk. Die Gebete, die Limericks, die Diskussionen verstummen. »Dies ist der letzte Aufruf für McDonald’s«, verkündet er. »Noch mal zur Kontrolle, ich hab siebenunddreißig Hamburger, sechzehn mit Käse und einundzwanzig ohne. Außerdem hab ich vierzehn mittlere Pommes.«
    Shirley hebt die Hand. »Hey, Norman, kann ich noch von mittleren auf große Pommes umbuchen?«
    »Klar«, bestätigt der Hilfssheriff, streicht mit unendlicher Geduld einmal »mittlere« aus und macht einen Strich mehr auf seiner Liste der großen Pommes.
    Nach dem Essen geht Lemuel mit einem Plastiksack herum und sammelt die Abfälle ein, dann geht er ins Büro, um ein paar Worte mit dem Sheriff zu wechseln.
    »Ich habe mich gerade gefragt, ob Sie neulich nachts meine Nachricht bekommen haben«, sagt er.
    Der Sheriff, ein kahl werdender Mann mittleren Alters mit einem über ein breites, geprägtes Lederkoppel hängenden Bauch, schreibt etwas in seine Kladde. »Über was für eine Nachricht reden wir?«
    »Wegen des Serienmörders.«
    Der Sheriff blättert eine Seite zurück, kontrolliert einen Eintrag, wendet die Seite um und schreibt weiter. »Was wissen

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