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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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brüllte der Baptistenpfarrer.
    »Die Kamikazes sind alle verhaftet«, rief Dwayne. »Du meine Güte«, jammerte der Baptistenpfarrer.
    Und dann strömten Trooper in braunen Uniformen und mit braunen Stetsons auf dem Kopf aus den Polizeiautos und stürzten sich auf die Cheerleader, die sich tapfer mit ihren Stäben verteidigten. Eine grellweiße Lampe ging an und tauchte die Szenerie in taghelles Licht. Ich sah zwei Männer mit langen, schmalen Kameras auf der Schulter dicht hinter den Troopern.
    Rain zog Mayday und mich hinter den ersten Tieflader, auf dem sich der riesige Bulldozer Zentimeter für Zentimeter auf die Rampe zubewegte. »Leg dich auf die Rampe«, schrie sie mir ins Ohr. »Die haben nicht den Mumm, wen zu zerquetschen.«
    Sie hielt mit der einen Hand Mayday an der Leine und mit der anderen mich am Halstuch fest, als wollte sie um jeden Preis verhindern, daß ich ihre Anweisung befolgte. Ihre Stimme sagte, geh, ihre Hand an meiner Leine sagte, bleib. Ihre meergrünen Augen, so groß, wie Augen nur sein können, und vor Angst überfließend, sahen mich an, als sei ich ein potentielles Opfer.
    Plötzlich wußte ich, wo ich diese Augen schon einmal gesehen hatte.
    Unter diesen Umständen war es ein Kinderspiel, mich auf die Rampe zu legen. Tatsache ist, daß ich enttäuscht war, als mir klar wurde, daß das alles war, was sie von mir wollte. Ich hätte alles für sie getan. Ich wäre an einem dieser langen Seile um die Fesseln in die Tiefe gesprungen, wo man Zentimeter über dem Boden abgefangen wird. Es war eine Möglichkeit, eine Schuld zu begleichen.
    An dieser Stelle sollte ich eine Fußnote anbringen, um die Geschichte in den richtigen zeitlichen Zusammenhang zu stellen. Ich hatte einmal in Leningrad eine Demonstration gesehen, das war 1968, an dem Tag, als das staatliche Fernsehen sein Programm für die Sondermeldung unterbrach, sowjetische Truppen hätten Prag von den Konterrevolutionären befreit. Ich fuhr gerade mit meinem Skoda am Smolny vorbei, in dem sich die Zentrale der Kommunistischen Partei befand, als sechs unerschrockene Seelen Transparente entfalteten, auf denen die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei verurteilt wurde. Sie hatten kaum die Transparente über ihre unschuldigen Köpfe erhoben, als sie von einer Flutwelle von KGB-Agenten verschlungen wurden, die aus Türen und Erdgeschoßfenstern des Gebäudes hervorbrach, als wäre sie eigens für so eine Eventualität da drin eingeschlossen gewesen. Die KGB-Agenten gingen nicht gerade zartfühlend mit den vier jungen Männern und zwei jungen Frauen um – sie rissen ihnen die Transparente aus den Händen, warfen die Demonstranten zu Boden und traten sie mit den dicksohligen, eisenbeschlagenen Schuhen, die KGB-Leute immer trugen. Ich sah, wie eine der beiden Frauen an den Haaren zu einem Mannschaftswagen ohne Aufschrift gezogen wurde. Während sie an meinem Auto vorbei über die Pflastersteine geschleift wurde, schaute sie zu mir auf, und ihre meergrünen Augen senkten sich in meine mit einer Intensität, wie sie nur ein liebender Mensch in einen Blick legen kann. Sie sah mich an – das wurde mir später klar –, als sei ich ein potentielles Opfer. In der Zeit, die ein Herz für einen Schlag braucht, ein Auge für einen Lidschlag, eine Lunge für die Aufnahme eines Fingerhuts Luft, wurde ich von wilder, ewiger, quälender Liebe zu ihr gepackt. Es ist demütigend für mich, Ihnen das zu sagen, aber obwohl ich mit eigenen Augen sah, wie sie an den Haaren weggezerrt wurde – mein Gott, das ist ein wahres Detail –, kam ich meiner Geliebten nicht zu Hilfe. Ich stieg nicht aus meinem in der Tschechoslowakei hergestellten Auto aus, um zu dem befehlshabenden Offizier hinzugehen, mich als jüngstes designiertes Mitglied in der Geschichte der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften vorzustellen und Protest zu erheben. Hier waren die Faschisten, und hier war ein großer Fluß, und trotzdem sammelte ich mich nicht. Ich hatte nach wie vor zwei Unterschriften, wissen Sie, eine für Personalausweise und Soldbücher und Visumanträge, eine zweite für die Fälle, in denen es nützlich sein konnte, hinterher abzustreiten, daß es meine Unterschrift war.
    Wollte Gott, es wäre anders, aber in meinem Fall ist das, was man sieht, nicht das, was man kriegt. Bis ans Ende meiner Tage werde ich mir diese Feigheit nicht verzeihen. was vermutlich der Grund war, warum ich, als Rain sagte, ich solle mich auf die Rampe legen, bei mir dachte, was habe ich

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