Der Gebieter
Costis seinen Rang als Truppführer ab. »Dem Willen des Königs nach kannst du von deinem Eid, ihm zu dienen, entbunden werden. Du darfst deine Habseligkeiten mitnehmen und noch heute Morgen den Palast verlassen. Entscheidest du dich dafür zu gehen?«
Costis hatte nicht mit einer solchen Frage gerechnet. Er hatte angenommen, dass Teleus plante, ihn ganz aus der Garde zu entlassen, um dem König ein Schnippchen zu schlagen. Plötzlich wurde er vor die Wahl gestellt, zu gehen oder zu bleiben. Seine
Zunge fühlte sich hölzern an, und er musste die Worte aus dem Mund hervorzwingen: »Ich bleibe, Hauptmann.« Als Teleus weiter auf ihn herabsah, wurde Costis bewusst, dass er zu leise gesprochen hatte. »Ich bleibe, Hauptmann!«, rief er.
Teleus hob den Kopf und rief über den Paradeplatz: »Dem Willen des Königs nach kann heute jeder von euch von seinem Eid, ihm zu dienen, entbunden werden. Jeder Mann, der sich dazu entschließt, darf vortreten, seine Sachen holen und den Palast straflos verlassen.« Auf dem ganzen Paradeplatz rührte sich kein einziger Mann. »Ihr werdet Zeit erhalten, Eure Entscheidung zu überdenken«, sagte Teleus. Er nickte Costis noch einmal zu, der zu seiner Reihe, aber nicht zu seinem Trupp zurückkehrte. Er folgte dem Centurio ans Ende der Reihe und nahm dort neben den Männern ohne festen Posten Aufstellung. Die Garde stand weiter stramm. Mehrere Minuten vergingen, und dann noch weitere. Ein leises Gemurmel begann, da ein paar sehr kühne Männer ihren Kameraden eine Bemerkung zuflüsterten. Gedämpftes Stiefelscharren war zu hören. Ein Centurio befahl seinen Männern, Haltung anzunehmen, und das Scharren hörte auf.
Während sie dastanden, stieg die Sonne höher am Himmel auf, bis die Strahlen am westlichen Rand des Paradeplatzes auf den Boden trafen. Die, die noch in der Kälte standen, die sich aus der Zeit vor der Dämmerung gehalten hatte, beneideten ihre Kameraden um ihren Platz in der Sonne, bis die Kälte verflog, die Sonne höher stieg und die Palastgarde immer noch in Habtachtstellung dastand. Beim Wachwechsel ließen die Centurionen die Männer vortreten, die nun Dienst hatten, aber der Rest blieb. Die Männer, die zuvor Wachdienst gehabt hatten, erschienen in Zweier- und Dreiergruppen und füllten stumm die Lücken auf. Teleus, der immer noch vor seinen Männern stand, bot abermals an, jeden zu entlassen, der sich dazu entschloss,
aus dem Dienst des Königs auszuscheiden, aber niemand rührte sich. Es wurde Nachmittag, und der Tag schleppte sich dahin. Ein neuerlicher Wachwechsel erfolgte und verschaffte denen, die Dienst hatten, eine Atempause. Für ein paar Männer waren die Hitze und der Wassermangel zu viel: Sie stürzten um wie Bäume. Die Centurionen ließen sie vom Platz tragen, aber sobald sie sich erholt hatten, kehrten sie in die Reihen zurück.
Es war Sommer, und der Tag war lang. Endlich begann sich die Sonne zum Horizont zu senken, und der Schatten kroch von der Westmauer des Paradeplatzes heran. Der Schweiß kühlte ab. Ein laues Abendlüftchen ließ den Soldaten einen unwillkommenen Kälteschauer über den Rücken laufen, und sie zitterten, rührten sich aber nicht vom Fleck. Die Sonne sank weiter. Die Trompeten hatten das Ende der Vogelwache und den Beginn der Fledermauswache geblasen, und jeder Mann der Palastgarde hatte Stunden gehabt, über seinen Eid nachzudenken, als Teleus endlich rief: »Es lebe der König!«
»Es lebe der König!«, antwortete die Garde und durfte wegtreten.
Die Männer kehrten schweigend und schweren Schrittes in ihre Baracken zurück. Als sie ihre Höfe erreichten, stöhnten einige und schwangen die Arme, um steif gewordene Muskeln zu lockern. Costis wandte sich der Barackentür zu; er hatte vor, sich in sein Zimmer zurückzuziehen, bis der Sturm der Entrüstung, den Teleus’ Strafmaßnahme ausgelöst hatte, sich ein wenig gelegt hatte. Er wusste, dass er sich der Garde würde stellen müssen, aber nicht gleich jetzt.
Vier oder fünf Männer standen direkt hinter der Tür und unterhielten sich; Costis konnte ihnen nicht ausweichen. Als er versuchte, hinter ihnen durchzuschlüpfen, hörte er einen sagen: »Wir wissen ja, wem wir das zu verdanken haben«, und zuckte zusammen.
Eine Hand streckte sich aus der Menge nach ihm aus und zwang ihn, stehen zu bleiben. »Ach, ich weiß nicht, Seprus, ich glaube nicht, dass wir dem armen Costis an allem die Schuld geben können.« Die Hand und die Stimme gehörten Sejanus. Bis er zu einem
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