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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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Ich will verflucht sein, wenn ich mir einen Leutnant halte, der nicht auch wirklich als Leutnant dient. Wegtreten.«
    Draußen auf der Treppe blieb Costis stehen, um sich den Dienstplan anzusehen. Er starrte das Blatt bestürzt an. Der König hatte es nicht nötig gehabt, ihn aufzuhängen: Er würde binnen eines Monats ohnehin vor Erschöpfung tot umfallen. Er hätte beinahe kehrtgemacht, um zu Teleus zurückzugehen, aber
es hatte ja doch keinen Zweck. Seine Füße trugen ihn langsam die Stufen hinab zu dem Barackenjungen, der wartete, um ihn in sein neues Quartier zu führen.

Kapitel 4

    Am Morgen bekam Costis eine genauere Vorstellung davon, was der Hauptmann gemeint hatte, als er behauptet hatte, der König ließe einen Sinn für Humor erkennen. Costis glaubte allerdings, dass es weniger Humor als schiere Rachsucht war.
    Die Übungsstunde mit den Schwertern war so ermüdend wie am Vortag. Mit langen, schmerzhaften Pausen spielten sie die Anfängerübungen wieder und wieder durch. Danach machte Costis sich in aller Eile in den Bädern frisch und trat in der Wachstube des Königs seinen Dienst an. Er kannte die Losungen des Tages und verspätete sich nicht.
    Der König hatte gebadet, war aber noch nicht angekleidet.
    Die Tür zwischen dem Schlafzimmer und der Wachstube stand offen; Costis hörte jeden Schritt des Ankleidevorgangs mit an und sah auch das meiste davon. Dank des Gesprächs konnte er die Namen, die er schon kannte, mit einigen der Männer verbinden, die dem König aufwarteten. Hilarion, der stämmige Kammerherr, war der zweite Sohn eines Barons von der Küste. Er brachte dem König die falschen Hosen und wurde in die Kleiderkammer zurückgeschickt. Dionis, der Neffe eines anderen Barons, brachte ihm das falsche Hemd. Auch er wurde durch irgendeine Tür, die gegenüber von der Wachstube aus dem Schlafzimmer des Königs wegführte, in die Kleiderkammer zurückgeschickt. Nichts schien dem König zu gefallen, und die
Kammerherren kamen mit abgelehnten Kleidungsstücken immer wieder an der Wachstube vorbei. Erst schob Costis das auf die Eitelkeit des Königs, aber langsam wurde ihm bewusst, dass all dies ein Tanz war, den die Kammerherren unter Sejanus’ Leitung aufführten. Die wachhabenden Gardisten sahen amüsiert zu. Sejanus zwinkerte, als er mit einer tintenbefleckten Schärpe an Costis vorüberkam.
    Der König hatte beschlossen, sich im medischen Stil zu kleiden und einen langen, offenen Mantel über seinem Hemd und seiner Tunika zu tragen. Die langen Glockenärmel hätten den Haken samt Halterung verbergen sollen, den er anstelle seiner fehlenden Hand trug, aber der Mantel, den die Kammerherren brachten, war vom Schneider falsch zugeschnitten worden. Die Ärmel waren zu kurz. Nicht nur der Haken, sondern auch die Manschette, an der er saß, ragte unelegant aus dem Ärmel hervor. Der König ließ den Mantel zurückgehen.
    Sejanus, der dem König gegenüber aalglatt einen versöhnlichen Tonfall anschlug, schob im Davongehen die Arme falschherum durch die Ärmel des Mantels und starrte in stummer Verwirrung seine Arme an, die bis zum Ellbogen aus den verkürzten Ärmeln hervorragten. Er wackelte mit den Fingern der linken Hand und sah dann entsetzt seine rechte Hand an, deren Finger zur Form eines Hakens gebogen waren. Er zupfte mit der linken Hand am Ärmel und zog ihn über die rechte Hand, bis sie verborgen war, um sie sich dann unter den linken Arm zu schieben und noch weiter zu verstecken; dann sah er sich mit gespielter Bekümmerung um. Irgendjemand in der Wachstube, der über Costis’ Schulter hinweg ins Schlafzimmer blickte, erstickte fast vor Lachen, und die drei Kammerherren, die vor dem König und damit in seinem Blickfeld standen, erröteten und erstarrten.
    Der König schien wenig unternehmen zu können, um seine Kammerherren in Schach zu halten. Er hätte sie aus seinen
Diensten entlassen können, aber Costis vermutete, dass eine solche Entlassung nur seine Unfähigkeit, mit ihnen fertig zu werden, öffentlich gemacht hätte. Also saß Eugenides mit zusammengebissenen Zähnen da und ignorierte Sejanus.
    Gleich nachdem ihm die Gewänder gereicht worden waren und man ihm unterwürfig beim Ankleiden geholfen hatte, rief der König Costis zu sich. Er musterte ihn so gründlich wie am Vortag.
    »Bist du ein typisches Beispiel für einen Gardisten, Costis? Ich bin ein wenig überrascht. Ihr seid schließlich keine echten Soldaten, und angesichts der Tatsache, dass ihr vorwiegend dekorativen

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