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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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Cousins in der Unterwelt eine Frage stellte, war etwas, was der betreffende Höfling plötzlich gar nicht mehr unbedingt herausfinden wollte. Er wünschte sich mit einer Inbrunst, die ihn überraschte, dass er nicht auf Dite gehört hätte, als der diesen kleinen Scherz vorgeschlagen hatte. Der junge Mann sah
erneut seine Königin an, diesmal hilfesuchend; sie blickte noch immer in die andere Richtung.
    »Vergebt mir, Euer Majestät, wenn ich Euch zu nahe getreten bin«, murmelte er an die Tischdecke gewandt.
    Der König sagte nichts. Er begegnete Ornons besorgtem Blick über die Tische hinweg und beantwortete ihn mit einem immer breiter werdenden Lächeln, das Ornon wohlbekannt war. Eugenides war zornig und ergötzte sich daran. Er griff in aller Ruhe nach seinem Weinbecher und trank den kleinen Rest aus, der sich noch darin befand.
    Da Ornon nicht wusste, wohin er sonst schauen sollte, sah er die Königin an. Sein Blick war wohl unverkennbar flehentlich, denn sie lächelte mit einem Anflug von Erheiterung und wandte sich Eugenides zu. Als er seinen leeren Becher betrachtete, hob sie ihren.
    »Nimm meinen«, sagte sie.
    Die Leute, die in der Nähe saßen, wichen zurück. Eugenides verschluckte sich an dem Wein, den er noch im Mund hatte. Jeder im Saal wusste, dass Attolia Gift, das in ihrem eigenen Weinbecher verborgen gewesen war, benutzt hatte, um sich ihres ersten Ehemanns zu entledigen, den zu heiraten sie gezwungen worden war.
    Eugenides hustete weiter; seine Schultern bebten. Er warf keuchend den Kopf zurück und bekam endlich genug Luft, um frei heraus zu lachen. Er hielt sich hilflos die Seiten und sah die Königin an. Sie erwiderte seinen Blick nur ausdruckslos, und er lachte noch mehr. Die Attolier sahen allesamt mit wachsender Abneigung zu.
    »Keine Sorge, meine Liebe«, sagte er in leicht angestrengtem Ton, »und sieh doch: Nicht nötig!« Er wies auf seinen Weinbecher, den der Junge, der als Mundschenk diente, aufgefüllt hatte; er hatte sich so hastig mit der Amphore nach vorn gestürzt, dass
der Wein aufs Tischtuch darunter gespritzt war. »Wie ich sehe, ist mein Becher ebenfalls voll.«
     
    Langsam setzten wieder Gespräche ein. Die Höflinge wirkten nicht länger verstört. Der seltsame Augenblick war vorüber. Einmal mehr hatten die Attolier gesehen, dass der König nichts als ein Hofnarr war. Ornon starrte seinen Teller an und war zugleich erleichtert und verärgert; er wünschte, die Attolier hätten gewusst, wie nahe sie dem Verhängnis gekommen waren, und war doch froh, dass sie es nicht wussten. Er blickte über die Tische hinweg den jungen Mann an, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, die sie alle in Gefahr gebracht hatte. Der da , dachte Ornon, als er das bleiche Gesicht des Höflings betrachtete, hat Eugenides in die Augen gesehen . Er wusste, dass er nur um Haaresbreite dem Verderben entronnen war. Ornon wandte sich der Königin zu, nur um zu bemerken, dass sie ihn ihrerseits ansah; der Anflug eines befriedigten Lächelns lag noch auf ihrem Gesicht. Sie hatte ihre Stärke unter Beweis gestellt, und Ornon neigte respektvoll den Kopf.
     
     
    Später wurden die Tische weggeräumt, damit getanzt werden konnte. Im Schutze des Lärms, den das Stühlerücken verursachte, sagte die Königin: »Es tut mir leid.«
    »Was?«, fragte Eugenides.
    »Die Sache mit dem jungen Mann. Ich hätte gern zugesehen, wie du ihn deinen Cousins nachgeschickt hättest, aber leider ist er als Untersekretär für die Flottenversorgung zuständig.«
    Eugenides wischte die Entschuldigung beiseite und lächelte, aber sein Lächeln wirkte geistesabwesend. Sie folgte seinem Blick, der über den Hofstaat schweifte. Sie sah ihre Toten. Er sah zweifelsohne die seinen. Sie wusste, dass er seine Cousins sowohl
gehasst als auch geliebt hatte; nun waren sie jenseits von Liebe und Hass.
    »Ein Tanz«, sagte der König, »wird alle aufheitern.« Er stand auf und bot ihr die Hand. Gemeinsam stiegen sie die erste Stufe der Estrade hinunter, als die Musik einsetzte, und hielten noch vor der zweiten inne. Zu der Trommel, die allein einen langsamen Rhythmus zu spielen begonnen hatte, gesellte sich der schrille Klang einer Bergflöte.
    Es war eine volkstümliche eddisische Melodie, die als Kompliment an den neuen König hätte gedacht sein können  – abgesehen davon, dass keiner der traditionellen Tänze aus Eddis mit nur einer Hand getanzt werden konnte. Attolia dachte an ihren Konzertmeister, der die Musik von einer niedrigen

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