Der Gebieter
Hof, auf dem Dach zu tanzen.«
»Wahrscheinlich geht das auch nur in Eddis.«
Man bezeichnete diese Tänze als »Viereckstänze«, weil der gesamte Tanz sich in einem kleinen Viereck abspielte, das die Füße der Tänzer nie verließen. Die Reihentänze wurden auf dieselbe Weise auf einer gedachten Linie hin und her getanzt. Beide Tänze begannen langsam, aber im Zuge der Musik mussten die Tänzer sich immer schneller bewegen, während ihre Füße das gleiche Muster wieder und wieder nachzeichneten. Am Ende jeder Schrittfolge wirbelte Attolia vom König fort und dann wieder zurück, bis sie ihm gegenüberstand. Sie reichten sich die Hände, drehten sich und begannen dann von vorn. Bald wurde die Musik so schnell, dass keine Luft mehr zum Reden blieb.
Als Attolia herumwirbelte, spürte sie ein Zupfen an ihrem Haar, und als sie sich wieder umdrehte ein zweites. Dann bemerkte sie, wie ihr das sorgsam aufgesteckte Haar am Hals hinabglitt. Eugenides, dessen Füße immer noch die Schrittfolge einhielten und der mit einer Hand die Königin herumschwang, hatte ihr die Haarnadeln eine nach der anderen herausgezogen, als sie ihm den Rücken zugewandt hatte. Die übrigen Nadeln lösten sich, und ihr Haar fiel offen herab. Es schwang durch die Luft, als sie sich drehte, und die letzte Haarnadel traf auf den Marmorboden, prallte ab und glitt ein Stück weiter.
Die Königin war mehrere Zoll größer als Eugenides, und er lehnte sich zurück, um ihrer Fliehkraft etwas entgegenzusetzen. Den Zuschauern kam es vor, als könne er damit unmöglich Erfolg haben, aber mit nur einer Hand und ohne sichtliche Mühe
trotzte er den Naturgesetzen. Phresine, die oberste Kammerfrau der Königin, sah von hinter dem Thron zu, wie ihre Königin wie eine Flamme im Wind tanzte, während der unstete König das Gegengewicht im Mittelpunkt der Erde bildete. Sie bewegten sich immer schneller und machten keinen Fehler, bis die Musik in unmöglichem Tempo aufschrillte und die Schrittfolge in eine lange Drehung mündete; beide Tänzer hielten sich mit einer Hand aneinander fest und hatten den freien Arm ausgestreckt, um nicht auseinandergerissen zu werden, bis die Musik und mit ihr der Tanz schlagartig endete.
Die Haare der Königin und ihre Röcke schwangen durch die Luft und legten sich dann. Kühl strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und schlang eine Strähne um den Rest, um ihn hinter ihrem Kopf zu befestigen.
Der König runzelte die Stirn. Er drehte sich langsam um und suchte den Boden ringsum ab.
»Aha«, sagte er, ging davon und bückte sich, um etwas aufzuheben. Als er zurückkehrte, schob er die Hand unter seine Schärpe, zog sie voller Haarnadeln wieder daraus hervor und bot sie ihr dar.
»Entschuldigt mich bitte, mein Herr – ich werde mich zurückziehen, um sie wieder einzusetzen.«
»Natürlich«, sagte der König und wiederholte so liebenswürdig ihre übellaunigen Antworten von vorhin. Er verbeugte sich.
Die Königin neigte den Kopf und wandte sich ab. Sie ging die Stufen wieder hinauf, an den Thronen vorbei und durch eine Tür; im Vorübergehen sammelte sie ihre Kammerfrauen ein.
Gen war zum Thron zurückgekehrt und hatte sich mit selbstzufriedener Miene darauf niedergelassen. Phresine, die im Gefolge der Königin hinausging, hörte Elia murmeln: »Na, das war aufschlussreich.«
»Nur für die, die Augen haben, um zu sehen«, flüsterte Phresine zurück.
Ornon, der in der Nähe stand, pflichtete ihr stumm bei.
Costis verbrachte den Abend in seliger Unkenntnis der Vorgänge im Thronsaal damit, längst überfällige Briefe an seinen Vater und seine Schwester zu schreiben. Er hatte ihnen seit seiner Schmach nur kurz geschrieben und mehr Briefe erhalten, als er abgeschickt hatte. Die Briefe seiner Schwester waren mit belanglosen Einzelheiten des Alltags auf dem Hof angefüllt. Die Geburt eines neuen Cousins und eines neuen Kalbs wurden im selben Satz verkündet. Thalia interessierte sich mehr für die Kuh und wusste, dass es Costis genauso gehen würde. Er fand es tröstlich, dass sie vorgab, von der Katastrophe unberührt zu sein, in die er sein Leben verwandelt hatte.
Er wusste aber, dass dem nicht so war. Costis’ Schande würde Thalia und ihrem Vater tagtäglich vom Rest der Familie vorgehalten werden, aber auch sein Vater erwähnte nichts davon. Er versicherte seinen Sohn lediglich seiner Unterstützung. Costis war froh über die Briefe und las sie wieder und wieder, aber es war schwer, darauf zu
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