Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
Vom Netzwerk:
dem Thron. Eugenides.
    Ornon schüttelte den Kopf. Nicht alle Pläne erfüllten ihren Zweck. Dieser hier war vielleicht gescheitert. Eugenides hatte den Versuch aufgegeben, die Beleidigungen der Attolier zu beantworten. Er ließ es zu, dass er unterbrochen und herumgestoßen wurde. Er hasste es, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, das wusste Ornon. Er hatte erwartet, dass es ihm großes Vergnügen bereiten würde, Eugenides zu beobachten, mit dem ihn eine lange und komplizierte Vergangenheit verband. Womit Ornon nicht gerechnet hatte, war dieses Gefühl, in einem Boot, dessen Steuer niemand hielt, flussabwärts geradewegs auf einen Wasserfall zuzutreiben.
    Er sah den König an. Eugenides trug zum Abendessen denselben Mantel wie am Vorabend. Noch besorgniserregender war, dass er am Morgen bei den Waffenübungen einem Gardisten einen Schlag gegen den Kopf versetzt hatte. Die Attolier nahmen an, dass es ein Unfall gewesen war, aber Ornon wusste es besser. Irgendetwas hatte Eugenides die Fassung verlieren lassen, und das war bei einem schwachen König die größte Gefahr. Schwache Könige, die die Fassung verloren, waren bekanntermaßen zerstörerisch. Eugenides war in letzter Zeit ein wenig reifer geworden,
aber er war vorher viele Jahre lang ein Hitzkopf gewesen.
     
    Das Gespräch kam kurz zum Erliegen, und in die Stille hinein fragte jemand von einem Seitentisch den König unschuldig: »Euer Majestät, ist es wahr, dass Eure Cousins Euch einmal mit dem Kopf in eine Zisterne gehalten haben?«
    Ornon, der gerade seinen Weinbecher hatte abstellen wollen, hielt inne.
    »Und trifft es auch zu, dass sie Euch nicht wieder herauslassen wollten, bis Ihr Euch bereit erklärt hattet, Beleidigungen über Eure Familie zu wiederholen?«
    Der Mann, der gesprochen hatte, saß von Ornon aus gesehen auf der gegenüberliegenden Seite des Saals, aber seine Stimme trug weit. Er war ein jüngerer Mann mit langem, gekräuseltem Haar und modischen Kleidern. Ornon nahm an, dass er zu Dites Umkreis gehörte. Dite und sein jüngerer Bruder Sejanus schienen beide dem König das Leben besonders schwer zu machen. Eugenides nahm schon Anstoß daran, wenn Dite auch nur in der Nähe war. Angesichts der Tatsache, dass die beiden Söhne des Erondites einander hassten, hätte man eigentlich annehmen sollen, dass der König mit wenigstens einem vom ihnen auskommen würde, aber das tat er nicht.
    Eugenides, der das Essen auf seinem Teller herumgeschoben hatte, hob schließlich den Blick, und Ornons Weinbecher traf mit einem Knall und einem Hochspritzen auf den Tisch.
    Ornon richtete den Becher hastig wieder auf und verfluchte sich selbst dafür, auch nur an Eugenides’ Vergangenheit gedacht zu haben, so als hätten seine Gedanken die boshaftere Seite des Königs an die Oberfläche gelockt. Wenn Eugenides in dieser Laune war, stand kaum zu erwarten, dass er auf irgendeine Andeutung oder Warnung reagieren würde, die Ornon am anderen
Ende des Tisches von sich gab. Er würde Ornon noch nicht einmal ansehen. Wenn er ihm nicht gerade ein Brötchen an den Kopf werfen wollte, hatte der Botschafter keine Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Der attolische Geck, der gesprochen hatte  – zwar ein Landbesitzer, aber beim besten Willen kein Baron  –, warf einen Blick zur Königin hinüber, um zu sehen, ob sie sein Verhalten guthieß, aber sie schaute in die andere Richtung. Der König zuckte leicht mit den Schultern und sagte: »Ich könnte Euch zu ihnen schicken, um nachzufragen.«
    Der Mann lachte. In seinem Gelächter schwang Verachtung mit. »Das wäre eine lange Reise, Euer Majestät. Ich würde die Antwort so viel lieber von Euch hören.«
    »Oh, die Reise wäre kürzer, als Ihr vermutet«, sagte der König freundlich. »Die meisten meiner Cousins sind tot.«
    Das Schweigen, das am Kopf der Tafel begonnen hatte, hatte sich inzwischen bis an den Rand des Saals ausgebreitet. Das Lächeln des Attoliers wirkte mittlerweile verunsichert.
    Der König erwiderte es nicht. Die, die verstanden, was gemeint war, rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her.
    Der noch nicht lange zurückliegende Krieg zwischen Eddis und Attolia hatte Eddis viel gekostet. Das Land hatte höhere Verluste erlitten und mehr durchgemacht als die größere, reichere Nation Attolia, aber am Ende des Krieges war der Dieb von Eddis König von Attolia geworden. Und ob Eugenides von Eddis einen attolischen Höfling in den Tod schicken konnte, damit er seinen

Weitere Kostenlose Bücher