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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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du sie verbinden«, sagte der König ungeduldig.
    Der Palastarzt  – ein dünner, nervöser Mann  – starrte die Wunde konzentriert an. »Ich würde den Schnitt gern an der tiefsten Stelle nähen, und zwar zuerst den Muskel.« Er sah Zustimmung heischend zur Königin hoch.
    »Die Wunde muss nicht genäht werden«, sagte der König argwöhnisch.
    »Weil sie nicht sehr tief ist«, murmelte jemand in der Menge.
    Der König sah sich mit finsterer Miene um, konnte aber nicht erkennen, wer gesprochen hatte.
    »Petrus ist schon seit einigen Jahren mein Leibarzt«, sagte die Königin. »Er betreibt mit dem Geld der Krone ein Armenhospital in der Stadt, wo er eine ganze Anzahl neuer medizinischer Methoden erprobt hat. Wenn er es für angemessen hält, die Wunde zu nähen, dann lege ich dir nahe, ihn gewähren zu lassen.«
    »Nur hier«, sagte der Arzt, »auf der Seite, an der die Wunde tiefer ist. Wenn sie auf ganzer Länge so tief wäre, hätte der Attentäter sicher das Peritoneum durchstochen.«
    »Das was?«
    »Das Bauchfell.«
    »Aha«, sagte der König, und einen Moment später: »Aua! Was ist das denn, eine Ahle?«
    »Oh nein, Euer Majestät, wie Ihr seht, ist das eine ganz schmale Nadel.«
    »Sie fühlt sich nicht wie eine Nadel an, sondern eher so, als ob Ihr zu viel Zeit damit verbracht habt, für Leute zu arbeiten, die Euch nicht bezahlen, und als ob Ihr lieber … Au! Aua! Au!«
    Costis schloss angewidert die Augen. Der König hätte nicht einmal auf dem Totenbett eine würdige Figur machen können. Die Kammerherren waren alle nahe daran, in Gelächter auszubrechen, und dem König machte das nichts aus, im Gegenteil: Er genoss jeden einzelnen Augenblick.
    Die Königin presste die Lippen zusammen.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte der Arzt hilflos.
    »Hör auf, dich zu entschuldigen, und beeil dich.«
    »Euer Majestät, ich …« Petrus wirkte, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
    Ornon, der hinter dem Arzt stand, ergriff entschlossen das Wort. »Euer Majestät, Ihr bringt Euren Arzt aus der Fassung.« Der Botschafter trat näher ans Bett heran. Er und der König starrten einander an.
    Eugenides wandte als erster den Blick ab. »Na gut«, sagte er schmollend. »Sagt ihm, dass er weitermachen soll.« Er holte Luft und schnaufte verstimmt.
    Ornon klopfte dem Arzt aufmunternd auf die Schulter und trat zurück. Der Arzt beugte sich wieder über die Wunde. Der König verzog das Gesicht, war aber still. Der Arzt schaute kurz
erstaunt auf, ging dann aber wieder an die Arbeit, die er gern beenden wollte, bevor diese Atempause vorüber war.
    Der König lag still und ließ keinen Laut vernehmen. Als Petrus die ersten paar Stiche festzog, atmete der König tief ein und hielt die Luft an. Nachdem er langsam bis zehn gezählt hatte, atmete er sacht aus und dann wieder ein.
    Drei Leute standen zwischen Costis und der Königin. Costis stieß sie alle drei wie Kegel beiseite und fiel gerade noch rechtzeitig auf die Knie, um seine Königin aufzufangen, als sie in seinen ausgestreckten Armen zusammenbrach.
    Er hatte sie aus dem Augenwinkel mit wachsbleichem Gesicht wanken sehen und erkannt, dass sie ohnmächtig wurde, doch es war zu spät gewesen, etwas zu unternehmen, außer sie aufzufangen.
    »Die Königin!«, rief jemand erschrocken, und der König fuhr wie ein wildes Tier in der Schlinge hoch.
    Er versuchte sich aufzusetzen, und die Männer um ihn herum hielten ihn fest. Er wehrte sich. Irgendein vernünftiger Mensch drückte mit beiden Händen den Haken mit der Messerschneide aufs Bett. Jemand, der weniger vernünftig war, versuchte, den anderen Arm des Königs fester in den Griff zu bekommen, stolperte zurück und hielt sich das Gesicht.
    »Meine Naht, meine Naht!«, rief der Arzt. »Euer Majestät, Euer Majestät!«
    »Deine Naht soll verflucht sein!«, knurrte der König. »Lasst mich hoch.«
    Da der König nun die Hand frei hatte, war er in der Lage, sich in eine sitzende Stellung hochzustemmen, aber weitere Männer, die allesamt auf ihn einschrien, stießen ihn wieder zurück. Irgendjemand fiel nach einem kräftigen Tritt vom Fußende des Betts. Der Arzt schrie abermals auf: Seine ganze Arbeit wurde zunichte gemacht.
    Costis sah, dass es nichts nützen würde, wenn er sich mit ins Getümmel stürzte. Er beobachtete, wie Ornon vortrat, einen der Umstehenden bei den Haaren packte und ihn mit einem heftigen Ruck zurückriss. Der Mann landete auf dem Hinterteil, und Ornon drängte sich in die Lücke, die er am

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