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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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seufzte schwer und starrte ins Leere. Am Ende fragte er: »Sprichst du ein bisschen Archaisch?«
     
    Costis flog beinahe die Treppen hinunter und durch die gewundenen Gänge des Palastes. Er verließ sich darauf, dass zu dieser
frühen Stunde der Weg frei sein würde. Verfolgt vom Murren und Klagen des Küchenpersonals, das schon wach und bei der Arbeit war, nahm er die Abkürzung durch die Küchen, eilte die Treppen hinunter, die ins Gefängnis der Königin führten, und wurde nur vom absichtlichen Trödeln des Gefängniswärters aufgehalten. Costis zwang sich, seine Schritte dem Schlurfen des Mannes anzupassen. Es hatte keinen Zweck, ihn zu überholen. Der Wärter hatte die Schlüssel, und wie alle Kerkermeister wahrte er eifers üchtig seine Macht hier im Gefängnis der Königin. Er würde sich nicht beeilen, nur weil ein Gardist der Königin es so wollte.
    Costis wartete, bis der Wärter klirrend den richtigen Schlüssel herausgesucht und langsam die Zelle aufgeschlossen hatte. Dann stemmte er, da seine Geduld erschöpft war, selbst die mit einem Eisengitter versehene Tür auf. Als Ersten sah er Aris, der  – die Knie hochgezogen, die Arme darumgelegt  – auf dem Boden saß. Ein überschüssiges Stück Kette lag in verschlungenen Windungen um seine Füße. Er hob den Kopf, um Costis anzusehen, ließ ihn dann wieder sinken und streckte die Hand aus, um den Mann, der neben ihm lag, sanft an der Schulter zu berühren. »Es ist so weit, Legarus«, sagte er leise.
    Legarus weinte. Alle anderen Augen waren trocken, aber Legarus weinte. Kein Wunder , dachte Costis. Legarus war schließlich scheinbar der Grund für ihre plötzliche Beförderung gewesen; alle hatten angenommen, dass jemand, mit dem er im Palast eine Liebschaft unterhielt, dafür verantwortlich war. Aber die Beförderung war nicht in die Wege geleitet worden, um Legarus etwas Gutes zu tun. Die Günstlingswirtschaft war nur Tarnung gewesen. Jemand hatte gewollt, dass an einem bestimmten Tag ein Trupp grüner Jungen Dienst tat, die in ihrer Unerfahrenheit leichter als alle anderen von ihrer Pflicht abgelenkt werden konnten. Legarus war ausgenutzt und dann im Stich gelassen worden.
    Costis wandte sich an Teleus, der aufstand. »Es besteht keine Hoffnung, Costis«, sagte Teleus rundheraus, als er seinen Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Doch«, beharrte Costis.
    »Nein«, widersprach Teleus stur. »Ich hätte nie zustimmen sollen, Aristogitons Trupp zu befördern. Ich hätte es nicht getan, wenn er für die Leibwache der Königin bestimmt gewesen wäre, und ich hätte es auch nicht bei der des Königs tun sollen.«
    »Und die Soldaten des Trupps, den Ihr befördert habt? Sollen auch sie sterben?«
    »Auch sie haben versagt.«
    Costis hätte ihn gern an den Schultern gepackt und geschüttelt. »Und die Garde? Die Königin hat Enkelis befördert, wisst Ihr das? Die Männer werden ihm nicht folgen.«
    »Ihre Schwerter sind der Königin geschworen.«
    »Sie sind nicht bloß Schwerter. Sie sind Menschen. Sie folgen Euch. Ohne Euch wird ihre Disziplin nachlassen  – vielleicht auch ihre Loyalität. Die Garde ist das Fundament der Armee. Ihr seid das Fundament der Garde. Die Königin kann es sich nicht leisten, Euch zu verlieren.«
    »Glaubst du etwa, ich wüsste das nicht?«, fragte Teleus.
    »Ihr müsst sie aufhalten.«
    »Sie weiß es selbst, Costis«, sagte Teleus traurig. »Selbst, wenn ich sie aufhalten könnte  – wer bin ich, dass ich ein Recht dazu hätte? Es ist ihre Entscheidung.«
    »Was, wenn sie einen Fehler begeht?«
    »Wer bin ich, dass ich die Urteilskraft der Königin infrage stellen dürfte?«
    »Sie ist ein Mensch wie wir alle, Hauptmann.« Costis dachte daran zurück, wie sie sich am vergangenen Nachmittag in seinen Armen angefühlt hatte. »Sie muss gelegentlich Fehler begehen.«
    »Oh ja«, sagte Teleus verbittert. »Nur selten, aber wir leben
alle mit den Früchten ihres größten Fehlers. Doch wir können ihre Entscheidungen nicht umstoßen. Sie ist die Königin.«
    »Dann bittet sie, es sich noch einmal zu überlegen. Nur das. Bittet sie, sich die Zeit zu nehmen, sicherzugehen, dass es die richtige Entscheidung ist.«
    »Wie?«, fragte Teleus.
     
    Der Thronsaal erstrahlte im Licht aller Kerzen. Die Deckenleuchter hingen als große Feuerräder in der Luft. Die Menschen standen dicht gedrängt, obwohl der Tag noch nicht angebrochen war. Niemand wollte die Gelegenheit versäumen zuzusehen, wie der Hauptmann der Garde in den Tod

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