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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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geschickt wurde. Es war vergleichsweise einfach für Costis, hineinzuschlüpfen und ungesehen in der Nähe der Tür stehen zu bleiben. Der König hatte ihm geraten, seine Botschaft an Teleus zu überbringen und dann direkt in sein Quartier zurückzukehren, um dort zu warten, bis der Sturm vorüber war, aber Costis konnte noch nicht gehen. Er war sich nicht sicher, was Teleus zu tun beschlossen hatte. Allzu bald hatte der Gefängniswärter die Tür aufgerissen, und die übrigen Wächter hatten sich versammelt, um die Gefangenen der Königin vorzuführen. Es war keine Zeit mehr geblieben, Teleus zu überzeugen. Costis hatte rasch den Satz auf Archaisch noch einmal wiederholt und dann ins Demotische übersetzt. Er hatte keine Ahnung, ob Teleus ein wenig Archaisch sprach oder ob er in der Lage war, sich in einem solchen Augenblick eine unvertraute Lautfolge zu merken. Costis wusste genauso wenig, warum dieser Satz  – die Anrufung der Hephestia beim Frühlingsfest in Eddis  – die Königin an vergangene Fehler erinnern sollte. Er wusste lediglich, dass der König versprochen hatte, dass die Worte dafür sorgen würden. Costis konnte nur den Gefangenen und ihren Bewachern folgen und sich dann zurückfallen lassen, als die Gefangenen in den Thronsaal geführt wurden. Er würde
abwarten, bis er wusste, ob sein Freund sterben würde. Wenn Aris zum Tode verurteilt wurde, würde Costis ihm nicht von der Seite weichen.
     
     
    Attolia zog auf ihrem Thron alle Blicke auf sich. Der leere Thron neben ihr, auf dem sie noch vor ein paar Monaten selbst gesessen hatte, hätte unsichtbar sein, ja gar nicht existieren können, so wenig bedeutete er den Menschen, die nun vor ihr standen.
    Sie sah auf die Männer vor sich herab. Nur Teleus konnte für sie sprechen. Er schaute nach rechts und links wie jemand, der zögert, bevor er sich für einen Weg entscheidet. Dann hob er das Gesicht zur Königin. »Oxe Harbrea Sacrus Vax Dragga Onus Savonus Sophos At Ere .«
    Der Saal verdunkelte sich, als eine plötzliche Morgenbrise durch die offenen Fenster nahe der Decke hereinwehte, zwischen den Leuchtern hindurchfuhr und ihre Flammen flackern ließ. Im tanzenden Licht schien die Königin vor Zorn zu wachsen und wie eine Flamme zu brennen, zugleich reglos und ohne Unterlass bewegt. Der Stoff ihres Kleids warf um die Knie leichte Falten, als die Hände, die sie hineingekrallt hatte, sich zu Fäusten ballten. Costis holte Atem, schnappte nach Luft, die zu fest zu sein schien, um eingesogen zu werden.
    »Was?«, sagte die Königin, forderte Teleus heraus, es zu wiederholen.
    »Wir rufen die Große Göttin in der Stunde unserer Not an und erbitten ihre Weisheit und Gnade«, sagte Teleus auf Demotisch.
    »Ere bedeutet übersetzt ›Liebe‹  – eine ziemlich schonungslose Liebe, nicht ›Gnade‹, Teleus. Die Große Göttin von Eddis ist nicht für ihre Gnade bekannt.«
    »Meine Königin …«, begann Teleus.
    »›Euer Majestät‹«, blaffte Attolia. Alle im Saal zuckten zurück, nur Teleus nicht.
    »Nein«, sagte er. »Relius hatte recht, und ich hatte unrecht. Ihr seid meine Königin. Selbst, wenn Ihr mir den Kopf abschlagen lasst, ja selbst wenn ich in der Schlinge, die sich zusammenzieht, den letzten Atemzug tue, oder wenn mein Herz ein letztes Mal schlägt, wenn ich von den Palastmauern hänge, seid Ihr meine Königin. Dass ich Euch enttäuscht habe, ändert nichts an der Liebe, die ich Euch entgegenbringe, oder an meiner Loyalität.«
    »Und doch zieht Ihr seine Gnade meiner Gerechtigkeit vor.« Sie meinte den König. Sie wusste, woher die Botschaft gekommen war.
    »Nein …« Teleus schüttelte wie betäubt den Kopf, streckte ihr flehend die Hände entgegen. »Ich meine nur…«
    Doch sie unterbrach ihn: »So nehmt sie. Lasst ihn frei.« Sie stieß den Befehl an die Gefängniswärter hervor: »Lasst sie alle frei.« Dann sprang sie vom Thron auf, stürmte zur Tür und ließ ihre Kammerfrauen und Wachen hinter sich zurück, die angesichts ihres Zorns alle wie erstarrt waren.
    Die Wachen an der Tür zögerten, unsicher, ob die Königin tatsächlich vorhatte, den Saal ohne ihr Gefolge zu verlassen.
    »Öffnet die Tür!«, rief sie, und sie gehorchten hastig. Sie fegte durch die Tür und verschwand im Gang dahinter. Ihre Kammerfrauen und Leibwächter erwachten zum Leben und strömten ihr nach. Das Rasseln der Ketten und das Klirren, als sie zu Boden fielen, waren die einzigen Geräusche, als die Menge wie Wasser aus einem zerbrochenen

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