Der Gebieter
legte sich im Schatten der Weide auf den Rücken ins Gras. Aber so funktionierte es nicht.
Cheng war kein Dominus und würde es auch nie sein. Selbst wenn er ihr den Gefallen täte und sie ab und an unterwarf, so könnte sie ihn doch nicht ernst nehmen, denn er war nun mal nicht von Natur aus dominant, zumindest nicht, was Sex betraf. Im täglichen Leben musste zwar alles nach seiner Nase tanzen. Seine Verbissenheit, mit der er Pinpoint Precision zum Erfolg führen wollte, hatte sich auf sein Privatleben übertragen. Allerdings äußerten sich seine Führungsqualitäten nicht im Bett. Im Gegenteil, der Druck im Job ließ seine Libido schrumpfen, glaubte Naomi.
Gab es überhaupt noch ein Leben zu zweit? Selbst in ihrer Freizeit nahmen sie Einladungen wahr, um Kontakte zu pflegen, die für das Unternehmen wichtig waren. Naomi selbst war Teil der Firma. Ihre gemeinsame Basis hatte sich verschoben, war nicht mehr eine Partnerschaft, sondern ihr Job. Aber Pinpoint Precision war Chengs Baby, sein Projekt, seine große Liebe – nicht die von Naomi.
Der Wunsch auszubrechen aus diesem starren Alltagstrott war unmerklich in ihr gewachsen und hatte sie in Samuels Arme gespült. Doch was war er? Eine Variable? Ihr Herz rebellierte. Nein, nein, niemals hätte sie sich irgendwem an den Hals geworfen. Er symbolisierte Abenteuer, Freiheit und grenzenlose Lust. Entgegen aller Vernunft sehnte sich jede Faser ihres Körpers nach ihm und nur ihm.
Naomi setzte sich wieder auf. Ihr Blick glitt zum Journal. Es drohte ins Wasser zu fallen. Hatten in dem Eintrag nicht auch nette Worte gestanden?
Ich werde dich nicht ausnutzen, sondern deine Fantasien wahr werden lassen. Eine andere Frau könnte deinen Platz nicht einnehmen. Ich will nur dich!
Getrieben von ihrer Neugier kroch sie zum Schilf und nahm das Buch. Sie las Sams Notizen vom 2. Juli noch einmal. Tatsächlich, er hatte geschrieben, dass er sie begehrte. Ihr Herz ging auf, aber aus den Sätzen war eindeutig herauszulesen, dass sein Verlangen rein körperlicher Natur war. Das war ihr zu wenig. Sie wollte mehr. Liebe, Partnerschaft, eine gemeinsame Zukunft. Aber das alles würde sie niemals in den Armen eines Enthüllungsjournalisten finden!
Naomi lehnte sich gegen den Stamm der Silberweide und schlug die Seite um. Der nächste Eintrag brachte ihr Blut in Wallung. Detailliert schilderte er die drei Orgasmen, die Naomi inmitten der Reben am helllichten Tag erlebt hatte, weil Sam es ihr befohlen hatte.
»Also doch!«, zischte sie aufgebracht, doch der Ärger schmolz mit jeder Zeile, die sie weiterlas.
Sie kam heute Nacht nicht meinetwegen. Nur wegen der Lust, die ich verspreche. Das stört mich. Gewaltig! Ich muss der Wildrose geben, nach was sie dürstet. Sonst verliert sie das Interesse. Nicht sie ist diejenige, die genötigt wird. Bei genauer Betrachtung bin ich es, der gezwungen ist. Ich muss das Böse verkörpern. Damit sie sich in die Höhle des Löwen traut und mit mir spielt.
Naomi konnte kaum glauben, was dort geschrieben stand. Sie blätterte rasch vor, überschlug die Beschreibungen ihrer Lusttreffen, denn viel mehr interessierten sie Sams Gedanken. Es war Gold wert, in seinen Kopf reinschauen zu dürfen, und seine Einträge strotzten so von Leidenschaft, dass sie der Wahrheit entsprechen mussten.
Am 5. Juli, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, schrieb er:
Im Display meines Laptops spiegelt sich mein blödes Grinsen. Zum Glück kann Naomi es nicht sehen, denn sonst wüsste sie, dass nicht nur ich Macht über sie besitze, sondern sie auch über mich. Ich kann nicht aufhören, an sie zu denken. Ich bin verrückt nach ihr. Wow, welch eine Frau!
Plötzlich wurde Naomi heiß, sie streifte ihre Sandalen ab und tauchte ihre Füße in das kühle Wasser. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, wie sehr sie Sam beeindruckt hatte. Doch vor lauter Euphorie hatte sie einige Sätze überlesen, die ihr im ersten Moment im Gegensatz zu den Komplimenten unwichtig erschienen waren. Naomi las sie ein zweites Mal und spürte förmlich, wie ihr Puls anstieg.
Schon wieder sind zwanzig Minuten vorbei. Ich träume zu viel zwischen den einzelnen Sätzen. Von ihr. Wenn ich so lange für mein Manuskript brauche, werde ich nie fertig werden. Aber ich habe einen Vertrag zu erfüllen und brauche das Geld, allerdings darf mich Naomi dabei keinesfalls beobachten, sonst würde sie aus allen Wolken fallen.
»Verdammt«, fluchte sie. Samuel hatte sie nach Strich und Faden belogen.
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