Der geduldige Tod (German Edition)
umdrehte.
Flink folgte er ihr. Seine Hand griff in die Manteltasche, umschloss das vertraute Instrument, das sich in den Falten des Stoffes versteckte. Kühl und leicht lag die Spritze zwischen seinen Fingern, als würde sie nur darauf warten, ihren tödlichen Inhalt abzugeben. Es war ein Gemisch aus verschiedenen arzneilichen Mitteln, die er im Laufe der vergangenen Monate und Jahre gestohlen hatte. Es würde sie nicht sofort töten, denn er brauchte sie und ihren Körper noch. Es würde sie lähmen und ihren Geist vernichten, aber ihren Leib lebendig erhalten. Noch sehr lange. Er hatte wieder und wieder experimentiert, bis er die richtige Dosierung gefunden hatte. Am Anfang war er sehr ungeschickt vorgegangen, so dass seine Opfer völlig umsonst gestorben waren, da sie ihren Zweck nicht erfüllen konnten. Aber nun wusste er, wie er es machen musste. Der Körper musste gut durchblutet sein, wenn er die Teile erntete, damit sie ihren Geist behielten. Alles andere war zwecklos. Er wollte keine seelenlose Puppe, sondern die perfekte Frau.
Noch 39 Sekunden. Ihre Füße klapperten über den Asphalt des Parkplatzes, strebten dem kleinen, roten Wagen im hinteren Teil der Anlage zu. Dort befanden sich die letzten Laternen. Dahinter spannte sich ein kleines Wäldchen, lag dunkel und schwarz wie eine Wand, die jegliches Licht schluckte. Davor standen nur wenige Wagen verstreut in den Parkzonen, die meisten Plätze waren um diese Uhrzeit leer.
Lautlos bog er auf den Parkplatz ein. Seine Hand umklammerte die Spritze. Obwohl er schon viele Frauen gejagt hatte, spürte er doch jedes Mal aufs Neue diesen Rausch in seinen Adern, wenn er kurz vor dem Ende der Jagd stand. Den Schub Adrenalin, der sein Herz schneller schlagen ließ und seine Sinne schärfte. Doch deswegen war er nicht hier. Nicht wegen des Rausches oder wegen dieses angenehmen Gefühls in seinem Geschlecht, wenn er an das Kommende dachte. Er war hier, weil er mit den Frauen etwas Gewaltiges vorhatte. Etwas Großartiges, geradezu Göttliches.
Noch 19 Sekunden.
Sie war an ihrem Auto angekommen, öffnete es und legte ihre Tasche hinein.
Noch 11 Sekunden.
Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Er konnte ihre leicht abgelaufenen Absätze erkennen, das Band, das ihre Haare zusammenhielt. Ihr Hals lag bloß. Der Mantelkragen war heruntergeklappt.
Gleich würde sie ihn bemerken.
Noch 6 Sekunden.
Sie raffte ihren Mantel zusammen, um einzusteigen. Dabei hob sie ihren Kopf. Sie erblickte ihn.
»Entschuldigung«, rief er. »Haben Sie einen Stadtplan im Auto? Ich suche die nächste Polizeistation. Jemand hat meinen Wagen gestohlen.« Er verzog das Gesicht zu einer unglücklichen Grimasse.
Sie runzelte überrascht die Stirn, bevor sie mitleidig nickte. Sie glaubte ihm. Er kam näher. Gleich war er bei ihr.
»Ich habe einen Stadtplan.« Sie beugte sich zum Auto hinunter, lehnte sich zum Handschuhfach. Sie drehte ihm den Rücken zu. Sie vertraute ihm.
Er stand jetzt direkt bei ihr. Ihr Mantelsaum berührte seine Hose. Sein Herz klopfte wie wild. Die Hand umklammerte die Spritze, bereit, sie sofort einzusetzen.
Sie kramte im Handschuhfach, ließ sich in den Autositz fallen, um besser suchen zu können.
»Irgendwo muss er sein«, hörte er sie sagen. Sie durfte nicht sitzen.
»Wissen Sie denn, wohin ich muss? Könnten Sie mir den Weg beschreiben? Ich kenne mich hier nicht aus.« Er zuckte mit den Schultern.
»Haben Sie kein Telefon?«, fragte sie und sah zu ihm auf.
Er versuchte einen zerknirschten Gesichtsausdruck. »Das Handy liegt im Auto. Völlig bescheuert. Ich weiß, ich bin ein Idiot.«
Sie nickte leicht, bevor sie in ihrer Handtasche wühlte. Sie blieb dabei sitzen. »Ich kann die Polizei für Sie rufen«, bot sie an.
»Das wäre sehr nett!«, rief er.
Jetzt musste sie wieder aufstehen. Seine Hand zuckte im Mantel. Gleich.
Die Frau nahm ihr Handy zur Hand und wählte eine Nummer, dann erhob sie sich und reichte ihm ihr Telefon. Doch er nahm es nicht. Stattdessen schnellte seine Hand aus der Manteltasche und platzierte die Spritze direkt hinter ihrem Ohr.
Überrascht zuckte sie zurück. Wie alle anderen Frauen bisher. Doch nicht weit genug, um ihm zu entkommen. Wie alle anderen. Gleich würde sie sich wehren. Wie alle anderen.
Sie schrie und schlug um sich. Die Frauen wollten einfach nicht verstehen, dass er etwas Besonderes, Außergewöhnliches mit ihnen vorhatte. In diesen Augenblicken musste er hart bleiben. Er drückte die Frau gegen den
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