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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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würden sie ihr winken.
    Sie öffnete das schmiedeeiserne Tor, das leicht quietschte, und betrat die schmalen Stufen, die ins Haus führten. Durch das Fenster im Erdgeschoss konnte sie den Rücken ihrer Vermieterin sehen. Eine ältere Frau mit schmalen Augen, runden Hüften und krummen Beinen. Manchmal hatte Victoria das Gefühl, als würde sich in die Miene der Frau etwas Gemeines und Hinterhältiges schleichen, aber das konnte ein Irrtum sein. Victoria hatte verlernt, Menschen zu vertrauen. Señora Rodriguez, wie die Frau hieß, hatte ihr die Wohnung im ersten Stock des Hauses, in der früher ihre Schwiegermutter gewohnt hatte, für eine angemessene Summe vermietet. Sie lebte seit einigen Jahren allein in dem Haus, das für sie viel zu groß war, und suchte eine ruhige Mitbewohnerin. Vielleicht benötigte sie auch dringend das Geld. Ihre Tochter wohnte und arbeitete in der Stadt an der Küste, am Fuße der Berge. Sie kam nur selten zu Besuch. In den drei Monaten, in denen Victoria bei Señora Rodriguez lebte, hatte sie die junge Frau nur zweimal zu Gesicht bekommen. Sie war ganz hübsch, Anfang Dreißig, allerdings vielleicht ein wenig zu laut und zu billig.
    Die Frau drehte sich um, als sie Victorias Schritte auf der Treppe hörte.
    »Señorita Berger! ¿Como estas? Wie geht es Ihnen?«
    »Esta bien, muchas gracias«, erwiderte Victoria. Damit waren ihre Spanischkenntnisse schon fast erschöpft. Sie hatte eigentlich vorgehabt, nach ihrem Eintreffen auf der Insel so schnell wie möglich die Sprache zu erlernen, doch war das schwierig umzusetzen, wenn man kaum Kontakt mit Menschen hatte. Aber dadurch, dass sie immer noch meist für sich blieb, war es auch nicht so dringend nötig, Spanisch sprechen zu können.
    Señora Rodriguez schien zufrieden mit der Antwort.
    »Schöne Tag, viele Sonne, gut Wetter«, sagte sie und deutete mit dem Finger an die Zimmerdecke, womit sie vermutlich den Himmel meinte.
    »Sí, perfektes Wetter«, antwortete Victoria, was das Gespräch für beide Seiten zufriedenstellend beendete. Señora Rodriguez widmete sich wieder ihren Tätigkeiten in der Küche, Victoria stieg die Stufen zum ersten Stock hinauf. Dort legte sie ihre Tomaten in den kleinen Kühlschrank in ihrer Küche, in welche mit Mühe besagter Kühlschrank, ein Herd, ein winziger Tisch für eine Person, ein Stuhl und ein Waschbecken passten. Dafür gab das Fenster den direkten Blick auf den Olivenhain hinter dem Haus frei, der sich erst bis zur Straße und dann bis hinunter zum Meer erstreckte. Jeden Morgen, wenn sie an dem zierlichen Tisch beim Frühstück saß, konnte sie die Lerchen aufsteigen sehen, verschiedene bunte Vögel, deren Namen sie nicht einmal ansatzweise kannte, um die Wette zwitschern hören, und beobachten, wie kleine Tiere, die aussahen wie Kaninchen, die heruntergefallenen, unreifen Früchte, Gräser und Blüten fraßen.
    Nachdem sie ihren Einkauf verstaut hatte, ging Victoria hinüber in ihr Wohnzimmer, das wesentlich größer und mit einem stattlichen Balkon ausgestattet war. Viel Mobiliar befand sich nicht darin: ein Sofa, ein Tisch mit vier Stühlen, in der Ecke ein alter Ohrensessel, auf dessen verschlissenem Bezug eine bunte Decke lag, um die Löcher zu verdecken. Ein Glasschrank, in dem sich Porzellan und Gläser befanden, und als Glanzstück ein moderner Fernseher. An den Wänden hingen Ölgemälde mit Menschen, die Victoria nicht kannte, an denen die Farbe gerissen und an manchen Stellen abgebröckelt war. Zeugnisse eines anderen Jahrhunderts.
    Sie öffnete die Tür zum Balkon und ließ den warmen Wind in den Raum wehen. Als sie hinaustrat, sprang die rotgetigerte Katze von Señora Rodriguez eilig auf und floh über die Brüstung auf den dicken Ast eines Pfirsichbaumes, dann auf das Schuppendach, bevor sie in den wilden Garten hüpfte und zwischen den Gräsern verschwand. Sie war scheu und ließ sich selbst nach drei Monaten Zusammenlebens nicht von Victoria streicheln. Dennoch suchte sie immer wieder die sonnenwarmen Fliesen ihres Balkons für ihr Faulenzerleben aus.
    Ein Stockwerk tiefer, hinter dem dichten Laubwerk des Pfirsichbaumes sichtbar, befand sich das Gartentor, das auf die Straße führte. Dahinter senkte sich der Berg mit seinen Hainen, Wiesen und Pinienwäldern zur Küste hinab. Ein winziges Stückchen Meer war von ihrem Standort aus zu sehen, nur so breit wie zwei Finger, wenn sie die am ausgestreckten Arm vor sich hielt. Doch es reichte ihr. Sie liebte diesen Anblick. Die winzige

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