Der Geek-Atlas (German Edition)
der gesamte Webprozess vom Entwurf des Musters, hin zur Übertragung auf
Lochkarten bis zum Betrieb des Webstuhls.
Abbildung 12.1 In einen Jacquard-Webstuhl eingegebene Lochkarten; zur Verfügung gestellt von Justin Cormack
Die ausgestellten Webstühle stammen aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert. Das Museum bietet auch Weberei-Workshops an. Auch
die Restauration von Webstühlen wird hier durchgeführt. Im Museum gibt es für (nahezu) alle Sinne etwas zu entdecken: den
Klang der laufenden Webstühle, den Geruch der Fabrik und des Öls, praktische Ausstellungen und den Anblick dieser massiven
Maschinen in Aktion.
Nach Jacquard wurde die Lochkarte in anderen Bereichen eingesetzt. Der Erfinder Herman Hollerith erfand eine Tabelliermaschine,
die in der Lage war, gelochte Erfassungskarten zu lesen und statistische Informationen zu produzieren. Hierzu wurden die Löcher
in den Karten durch einen einfachen elektrischen Schaltkreis erfasst. Holleriths Unternehmen führte 1890 die amerikanische
Volkszählung durch und verschmolz später mit einem anderen Unternehmen, woraus dann letztendlich IBM entstand. Eine Hollerith-Tabelliermaschine
ist im Computer History Museum (siehe Kapitel 86 ) ausgestellt.
----
Jacquards Webvorgang
Bei der einfachsten Form des Webens gibt es keine Muster. Zwei Fäden, der eine rechtwinklig zum anderen, werden zu einem einfarbigen
Muster verkreuzt. Einer der Fäden, der sog. Kettfaden, verläuft parallel zum Webrahmen und der andere, der sog. Schussfaden,
wird über und unter den Kettfaden geschoben (siehe Abbildung 12.2 ).
Abbildung 12.2 Ein einfaches Gewebe
Beim Weben von Textilien wird ein Teil der Kettfäden gestreckt und angehoben, um Platz zu schaffen. Der Schussfaden wird dann
durch die Lücke geschoben. Dann wird der Prozess umgekehrt: der andere Teil der Kettfäden wird angehoben und der Schussfaden
wird wieder durchgeschoben.
Um ein Muster zu erzeugen, müssen ausgewählte Kettfäden angehoben werden, damit der Schussfaden entsprechend über oder unter
diesen Kettfäden liegt. Vor Jacquards Webstuhl waren nur einfache Muster möglich, weil das Anheben der entsprechenden Kettfäden
langsam und schwierig war. Bei Jacquards Webstuhl wurde ein einzelnes Loch in der Lochkarte einem einzelnen Kettfaden zugeordnet.
Jede Karte wird verwendet, um die Oben/Unten-Position jedes Kettfadens für das Weben eines einzelnen Schussfadens festzulegen.
Ist die Lochkarte in Position, können Haken in die Löcher rutschen und so die mit ihnen verknüpften Kettfäden anheben. Der
Schussfaden wird dann durchgezogen und erzeugt so eine einzelne Linie des Musters. Die Maschine macht dann mit der nächsten
Karte weiter. Da sich Muster meist wiederholen, arbeitet die Maschine die Lochkarten in einer Schleife ab.
Für das Erzeugen der Karten ist es erforderlich, das Muster auf einem quadratischen Papier aufzuzeichnen, so dass es als eine
Menge von Bildpunkten oder Pixeln dargestellt wird. Jede Zeile entspricht einer einzelnen Lochkarte, die so gelocht wird,
dass die entsprechenden Kettfäden angehoben werden. Jeder Kettfaden bestimmt dabei das Aussehen eines einzelnen Pixels (die
Stelle, an der sich Kett- und Schussfaden kreuzen). Die Karten werden dann gebündelt und durchlaufen nacheinander den Webstuhl.
Die Parallelen zu modernen Computern sind offensichtlich: die Ausgabe des Webstuhl ist ein gepixeltes Bild, das Zeile für
Zeile »ausgegeben wird« (wie bei einem normalen Computerbildschirm). Die Eingabe ist ein »Programm«, das in die Lochkarten
gestanzt wurde. Ada Lovelace, die mit Charles Babbage an seiner Analytical Engine arbeitete, schrieb Folgendes:
We may say most aptly that the Analytical Engine weaves algebraical patterns just as the Jacquard loom weaves flowers and
leaves.
----
Der Jacquard-Webstuhl inspirierte auch Charles Babbage (siehe Kapitel 77 ), der erwogen hatte, Lochkarten zur Speicherung von Programmen für seine Analytical Engine, einen komplett mechanischen Computer,
zu verwenden. In den ersten ca. 70 Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Lochkarten als Eingabemechanismus für Computer genutzt
(siehe Abbildung 12.3 ).
Abbildung 12.3 Eine Computer-Lochkarte des 20. Jahrhunderts; zur Verfügung gestellt von Peter Renshaw (bootload)
Praktische Informationen
Die Website des Jacquard-Museums finden Sie unter http://madefla.50g.com/ . Wenn Sie es nicht nach Roubaix schaffen, können Sie sich alternativ eine moderne Fabrik
Weitere Kostenlose Bücher