Der gefaehrliche Verehrer
die Umgebung im Auge behält.«
Sie sank in einen Sessel. »Wo liegt der Unterschied, ob ich hier bin oder im Sender?« Sie schüttelte den Kopf, ehe er etwas sagen konnte. »Bliebe ich zu Hause, würde ich durchdrehen, weil ich ständig daran denke und mir Sorgen mache. Bei der Arbeit habe ich wenigstens noch andere Dinge im Kopf.«
Er hatte von ihr keine Zustimmung erwartet. »Wir sprechen später darüber. Im Moment sind Sie müde. Gehen Sie doch ins Bett. Ich schlafe auf der Couch.«
Sie wünschte sich, stark genug zu sein, um ihm zu sagen, dass es nicht nötig war. Sie brauchte keinen Schutz. Doch die Woge der Dankbarkeit machte sie schwach. »Ich hole Ihnen eine Decke.«
Deborah schlenderte aus ihrem Zimmer in einem weißen Shirt und einem dünnen blauen Morgenmantel, der ihr bis auf die Hälfte der Oberschenkel reichte und auseinanderklaffte. Ihre Zehennägel waren schockrosa. Sie hatte sie am Vorabend lackiert, um sich eine Abwechslung zu gönnen, während sie für ihr Examen büffelte.
Gähnend stolperte sie über einen Stiefel, fiel gegen die Couch und stieß einen unterdrückten Schrei aus, als ihre Hand auf einen warmen Körper traf.
Boyd setzte sich blitzartig auf, und seine Hand griff nach der Waffe. Aus nächster Nähe starrte er in Deborahs Gesicht – helle Haut, große blaue Augen, die Wolke dunkler Haare – und entspannte sich.
»Guten Morgen.«
»Ich … Detective Fletcher?«
Er rieb sich die Augen. »Ich glaube schon.«
»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.« Sie räusperte sich und erinnerte sich zu spät daran, ihren Morgenmantel zu schließen. Sie schloss den Gürtel, blickte die Treppe hinauf und senkte automatisch ihre Stimme. Ihre Schwester schlief schon unter besten Voraussetzungen nicht tief. »Warum sind Sie hier?«
Er reckte eine Schulter, die während der beengten Nacht auf der Couch steif geworden war. »Ich passe auf Cilla auf.«
»Alles klar.« Sie zog die Augenbrauen zusammen, während sie ihn betrachtete. »Sie nehmen Ihren Job sehr ernst.«
»Das stimmt.«
»Gut so.« Sie lächelte zufrieden. In den aufwühlenden und verwirrenden Ereignissen ihrer neunzehn Jahre hatte sie gelernt, den Charakter eines Menschen rasch einzuschätzen. »Ich wollte gerade Kaffee machen. Ich muss heute früh zum Unterricht. Soll ich Ihnen auch einen bringen?«
Falls sie auch nur im Entferntesten wie ihre Schwester war, würde er keinen Schlaf mehr bekommen, bevor er nicht alle Fragen beantwortet hatte, die ihr im Kopf herumgingen. »Gern. Danke.«
»Ich schätze, Sie möchten auch duschen. Sie sind etwa fünfzehn Zentimeter zu groß, um eine bequeme Nacht auf der Couch verbracht zu haben.«
»Zwanzig.« Er rieb sich den steifen Nacken. »Ich glaube, es sind eher zwanzig.«
»Sie können so viel heißes Wasser verbrauchen, wie Sie wollen. Ich setze den Kaffee auf.« Als sie sich zur Küche umwandte, klingelte das Telefon. Obwohl Deborah wusste, dass ihre Schwester noch vor dem zweiten Klingeln abheben würde, tat sie automatisch einen Schritt darauf zu. Boyd schüttelte den Kopf, hob ab und lauschte.
Die Hände ins Revers ihres Morgenmantels verkrampft, beobachtete Deborah ihn. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber sie sah Zorn in seinen Augen aufflackern. Wenn es auch nur ein kurzer Moment war, reichte sein Gesichtsausdruck doch, um ihr zu verraten, wer am anderen Ende der Leitung war.
Boyd unterbrach die Verbindung mechanisch und tippte eine Zahlenreihe ein. »Habt ihr was?« Er fluchte nicht einmal bei der negativen Antwort. »In Ordnung.« Nachdem er aufgelegt hatte, sah er Deborah an. Sie stand neben der Couch, die Hände verkrampft, das Gesicht blass. »Ich gehe nach oben«, sagte er. »Auf den Kaffee komme ich später zurück.«
»Sie hat sich bestimmt aufgeregt. Ich möchte mit ihr sprechen.«
Er schob die Decke beiseite und stand auf. Er trug nur seine Jeans. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das diesmal mir überließen.«
Sie wollte widersprechen, aber etwas in seinen Augen hielt sie zurück. Sie nickte. »Also schön, aber machen Sie Ihre Arbeit gut. Sie ist nicht so tough, wie sie die Leute gern glauben macht.«
»Ich weiß.«
Er stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, ging an der offenen Tür von einem Zimmer vorbei, in dem das Bett ordentlich gemacht war. Deborahs Zimmer, entschied er, als er das rosa und weiß gehaltene Dekor und die mädchenhaften Verzierungen aus Spitze bemerkte. An der nächsten Tür blieb er stehen, klopfte und trat
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