Der gefaehrliche Verehrer
weinen wollte. Er sah wieder seine Schwester an. »Sie kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Die letzte Nacht war hart. Sie ist zu stur, um es sich einzugestehen, aber sie muss heimfahren und ein wenig schlafen.«
»Du undankbarer Knochen«, brachte Cilla hervor. »Glaubst du, du kannst mich sogar herumkommandieren, wenn du halbtot auf dem Rücken liegst?«
»Ja. Gib mir einen Kuss.«
»Würdest du mir nicht leidtun, würde ich dich betteln lassen.« Sie beugte sich über ihn und berührte seinen Mund mit ihren Lippen. In dem Moment der Berührung erkannte sie panisch, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stand. »Da du mich loswerden willst, gehe ich. Ich habe eine Sendung vorzubereiten.«
»Hey, O’Roarke.«
Sie fand noch so viel Selbstbeherrschung, dass sie über ihre Schulter zurückblicken konnte. »Ja?«
»Komm bald wieder her.«
»So, so …« murmelte Natalie, als Cilla davoneilte.
»So, so …« echote ihr Bruder. Er konnte die Augen nicht mehr offen halten. »Sie ist großartig, nicht wahr?«
»Muss sie wohl sein.«
»Sobald ich länger als eine Stunde hintereinander wach bleiben kann, werde ich sie heiraten.«
»Verstehe. Vielleicht solltest du so lange warten, bis du sogar eine Stunde lang stehen kannst.«
»Ich werde darüber nachdenken, Nat!« Er griff nach ihrer Hand. »Schön, dich zu sehen.«
»Und wie«, sagte sie, als er einschlief.
Cilla rannte fast, als sie die Doppeltür erreichte. Sie blieb nicht stehen, nicht einmal, als sich Boyds Eltern von der Bank erhoben. Während ihr der Atem stockte und ihre Augen sich mit Tränen füllten, hastete sie den Korridor entlang und stolperte in den Waschraum.
Natalie fand sie dort zehn Minuten später, in einer Ecke auf dem Boden zusammengekrümmt, verzweifelt schluchzend. Wortlos zog Natalie eine Hand voll Papierhandtücher aus dem Spender, machte sie feucht und hockte sich vor Cilla hin.
»Hier, für Sie.«
»Ich hasse das«, sagte Cilla zwischen Schluchzern.
»Ich auch.« Natalie wischte sich über ihre eigenen Augen, und dann, ohne einen Gedanken an ihr Siebenhundert-Dollar-Kostüm zu verschwenden, setzte sie sich auf den Boden. »Der Arzt sagt, sie verlegen ihn wahrscheinlich morgen in ein normales Zimmer. Sie hoffen, seinen Zustand bis heute Nachmittag von kritisch zu ernst zu verbessern.«
»Das ist gut.« Cilla bedeckte ihr Gesicht mit einem Papiertuch. »Sagen Sie ihm nicht, dass ich geweint habe.«
»In Ordnung.«
Sie schwiegen, während sie beide um Selbstbeherrschung rangen.
»Vermutlich wollen Sie genau wissen, was passiert ist«, sagte Cilla endlich.
»Ja, aber das kann warten. Boyd hatte bestimmt einen Grund, als er sagte, Sie sollten heimfahren und schlafen.«
Ohne Mühe hätte sie sich auf dem Fliesenboden ausstrecken und auf der Stelle einschlafen können. »Vielleicht.«
»Ich nehme Sie mit.«
»Nein, danke. Ich rufe ein Taxi.«
»Ich nehme Sie mit«, wiederholte Natalie und stand auf. Cilla senkte das Handtuch und betrachtete sie. »Sie sind ihm sehr ähnlich, nicht wahr?«
»Das behauptet man.« Natalie half Cilla auf. »Boyd sagte mir, er würde Sie heiraten.«
»Das behauptet er.«
Zum ersten Mal seit Stunden lachte Natalie. »Wir werden uns wirklich unterhalten müssen.«
In der nächsten Woche lebte Cilla förmlich im Krankenhaus. Sie war froh, dass ständig Freunde, Verwandte und Kollegen bei Boyd waren und er kaum ungestört mit ihr sprechen konnte. Als sich sein Zustand verbesserte, hielt sie ihre Besuche kürzer. Sie brauchten beide Abstand, fand sie.
Althea informierte sie über Billy Lomus. In seiner gestörten Kindheit war John McGillis der einzige Lichtblick gewesen. Wie das Schicksal es wollte, hatten sie sich jeweils von der Schwäche des anderen genährt. Johns erster Selbstmordversuch war zwei Monate nach Billys Abflug nach Vietnam passiert. Damals war er knapp zehn Jahre alt gewesen. Als Billy zurückgekehrt war, verbittert und verwundet, war John weggelaufen, um bei ihm zu sein. Obwohl die Behörden die beiden immer wieder trennten, hatten sie einander stets wiedergefunden. Johns Tod hatte Billy über die dünne Grenze der Vernunft getrieben, an der er entlanggewandelt war.
»In diesen letzten zwei Wochen«, sagte Cilla, als sie auf dem Krankenhausparkplatz standen, »habe ich mich gefragt, ob ich bei John McGillis etwas hätte anders machen können. Aber das war nicht möglich. Es ist eine Erleichterung für mich, dass ich jetzt endlich ganz sicher sein kann.«
»Dann können Sie
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