Der Gefangene
sollten sie als produktive, stabile Bürger wieder in die Gesellschaft integriert werden.
Phase eins war ein Zwölfmonatsprogramm, bei dem die Männer in Schlafsälen untergebracht waren und sich an strenge Regeln halten mussten. Eine der ersten Übungen bestand darin, die Benutzung der Linienbusse zu erlernen, damit sie sich allein in der Stadt bewegen konnten. Kochen, Putzen und persönliche Hygiene standen ebenfalls auf dem Unterrichtsplan und wurden sehr ernst genommen. Ron konnte Rühreier zubereiten und wusste, wie man ein Erdnussbutter-Sandwich schmiert. Er blieb lieber in der Nähe seines Zimmers und wagte sich nur zum Rauchen nach draußen. Nach vier Monaten hatte er immer noch nicht begriffen, wie das Bussystem funktionierte.
Rons Sandkastenliebe war ein Mädchen namens Debbie Keith gewesen. Ihr Vater war Pastor und hatte gewollt, dass seine Tochter einen Pastor heiratete. Da war Ron natürlich nicht infrage gekommen. Mickey Keith, ihr Bruder, war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und Pastor der evangelistischen Kirche in Ada geworden, bei der Annette eine neue Heimat gefunden hatte. Auf Wunsch von Ron und Annette fuhr Reverend Keith nach Norman zum Übergangsheim.
Ron meinte es ernst. Er wollte sich erneut einer Gemeinde anschließen und sein Leben in Ordnung bringen. Im Grunde seines Herzens war er ein tiefgläubiger Mensch, der auf Gott und Jesus Christus vertraute. Nie würde er die Heilige Schrift, die er als Kind auswendig gelernt hatte, oder seine geliebten Gospels vergessen. Trotz seiner Irrtümer und Fehler sehnte er sich verzweifelt danach, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Das schlechte Gewissen wegen seines Lebenswandels nagte an ihm, aber er vertraute auf Jesu Verheißung göttlicher, ewiger und vollständiger Vergebung.
Reverend Keith redete und betete mit Ron. Dann besprach er die Formalitäten mit ihm. Wenn sich Ron der Gemeinde wirklich anschließen wolle, müsse er einen Antrag ausfüllen, in dem er bestätige, dass er wiedergeborener Christ sei, die Gemeinde mit dem Zehnten unterstützen und anwesend sein werde, wann immer es ihm möglich sei. Außerdem verpflichte er sich dazu, niemals Schande über die Gemeinde zu bringen. Ron füllte das Formular auf der Stelle aus und unterschrieb. Sein Antrag wurde dem Gemeindevorstand vorgelegt, erörtert und genehmigt.
Ein paar Monate lang war er einigermaßen zufrieden. Er war clean und nüchtern. Mit Gottes Hilfe wollte er seine Sucht besiegen. Dazu schloss er sich den Anonymen Alkoholikern an, wo er nur selten eine Versammlung verpasste. Er bekam Medikamente in der richtigen Dosis, und Familie und Freunde genossen seine Gesellschaft. Er war laut, aber witzig. Immer hatte er eine schlagfertige Erwiderung oder eine Anekdote auf den Lippen. Um Fremde zu erschrecken, begann er seine Geschichten gern mit den Worten »As ich damals in der Todeszelle saß ...« Seine Familie hielt möglichst engen Kontakt zu ihm. Oft wunderte sie sich über seine minutiöse Erinnerung an Ereignisse, die geschehen waren, als er nicht bei Verstand gewesen war.
Das Übergangsheim lag in der Nähe des Stadtzentrums von Norman. Zu Fuß war es nicht weit zu Mark Barretts Kanzlei. Ron kam oft auf einen Sprung vorbei. Dann tranken Anwalt und Mandant Kaffee, unterhielten sich über Musik und erörterten das Verfahren. Ron interessierte sich verständlicherweise vor allem dafür, wann der Rechtsstreit beigelegt sein mochte und wie viel Geld er wohl bekommen würde. Mark lud Ron zu seiner eigenen Gemeinde in Norman ein, den Disciples of Christ. Gemeinsam mit Mark und dessen Frau besuchte Ron eine Sonntagschulklasse und war fasziniert von den offenen, liberalen Diskussionen über Bibel und Christentum. Alles durfte hinterfragt werden, während das Wort in der Pfingstbewegung stets eine exakte Bedeutung hatte, die als unfehlbar galt. Abweichende Meinungen wurden nicht gern gesehen.
Ron verbrachte vor allem viel Zeit mit seiner Musik. Immer wieder übte er Stücke von Bob Dylan oder Eric Clapton, bis er eine gute Imitation zustande brachte. Er bekam tatsächlich kleine Engagements in Cafes und Bars in Norman und Oklahoma City, wo er für ein Trinkgeld spielte und auf Wunsch der wenigen Gäste ausgewählte Stücke vortrug. Angst hatte er keine. Sein Stimmumfang war begrenzt, aber das war ihm egal. Ron versuchte sich an jedem Song.
Die Oklahoma Coalition to Abolish the Death Penalty, eine Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe, lud ihn zu einer
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