Der Gefundene Junge
dunkles Auge herausspähte.
Der Schleier flatterte erneut, als die Hexe das Wort ergriff. Hap hatte eine brüchige alte Stimme erwartet, weshalb das betörende Säuseln, das nun erklang, ihn völlig verwirrte. »Und da ist noch etwas, das du nicht erwähnt hast«, gurrte die Hexe. »Das Ding, das dich verfolgt.«
Hap klappte die Kinnlade herunter. Er starrte Umber an, und dieser deutete mit einer Geste an, dass Turiana Haps Gedanken gelesen hatte. Das hat sie aus meinem Kopf , dachte Hap.
»Wie schön, wieder deine Stimme zu hören, Turi«, sagte Umber. Hap war erstaunt über den Namen, mit dem Umber sie ansprach. Turi . Das klang so liebevoll.
»Spar dir deine Schmeicheleien«, gab sie zurück. »Darauf falle ich nicht noch einmal herein.«
»Jedes Wort, das ich vor all diesen Jahren gesagt habe, habe ich auch so gemeint«, erwiderte Umber ruhig. »Ich kann wohl kaum erwarten, dass du mir jetzt hilfst, Turi, aber ich brauche deine Weisheit. Du weiÃt etwas über diesen Jungen und seinen Verfolger, sonst hättest du nicht gesprochen.«
Sie bewegte ihren verschleierten Kopf. Hap wusste genau, dass sie ihn mit ihrem Blick fixierte. Er spürte es. Kälte durchdrang seine Haut und lieà ihm das Blut in den Adern gefrieren.
»Von all den Dingen, die du gesammelt hast, ist er das seltenste und beste. Und dann auch noch ein Kind . Ich wusste gar nicht, dass es bei seiner Art so etwas gibt. Hätte ich doch auch eins erwischt. Dann wäre ich niemals gestürzt worden. Niemals.«
Umber drückte sich von den Gitterstäben weg und hob die Hand. »Hör auf damit, Turiana. Hap ist nichts, was ich für meine Sammlung erworben oder eingefangen hätte.«
»Studiere ihn, solange du kannst, Umber. Du wirst diesen Schatz nicht lange besitzen. Er wird auf und davon sein, sobald er herausfindet, wer er ist. Wenn dieser Verfolger ihn nicht vorher erwischt.«
Umber legte eine Hand auf Haps bebende Schulter. »Dieser Verfolger hat es schon versucht und wurde schwer verwundet, Turi. Selbst wenn er überlebt hat, glaube ich, dass er seine Lektion gelernt hat.«
Turianas Lachen war kalt wie Eisregen. »Wenn du ihn nicht getötet hast, wartet er nur irgendwo, bis seine Wunden verheilt sind. Ãber kurz oder lang wird er zurückkehren. Er kann nicht widerstehen. Der Junge hat etwas, was er mehr will als alles andere.«
»Was meinst du? Was will er denn?«, fragte Umber. Seine Stimme wurde lauter.
Die Hexe drückte ihre skelettartigen Hände auf die Armlehnen und stand auf. Sie bewegte sich wie unter Wasser.
»Was weiÃt du über diesen Verfolger, Turiana? Sein Name ist Occo. Was ist er für ein Wesen?«, beharrte Umber.
Turiana drehte den Kopf. Ihr Schleier aus Spinngewebe wehte zur Seite, und Hap sah den Rand eines knochigen Kiefers und Haut, die fest über einen sehnigen Hals gespannt war. Sie trat schwerelos einen Schritt vor; es war, als schwebte sie über dem Boden. »Lass mich frei, und ich erzähle dir alles, was du wissen möchtest, Umber.«
Umber schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Du weiÃt, dass ich das nicht tun kann.«
»Aber ich habe meine Lektion gelernt«, sagte sie, während sie näher heranschwebte. »Nach all den Jahren in diesem Verlies habe ich meine Seele wiedergefunden. Das Böse ist aus mir verschwunden. Lass mich frei, und ich beweise es dir.«
»Der König wollte dich töten lassen, Turi«, sagte Umber. »Du lebst nur deshalb noch, weil ich versprochen habe, dich hier gefangen zu halten.«
»Vergiss diesen Dummkopf von einem König«, sagte die Hexe. » Du könntest hier regieren, Umber. Ist es nicht das, was du willst? Du redest von Fortschritt und Freiheit und Bildung für das einfache Volk. Aber der König und die Prinzen werden nie zulassen, dass du all das bekommst, und das weiÃt du auch. Also gibst du dich mit winzigen, lächerlichen Schritten zufrieden. Aber alle Hindernisse wären aus dem Weg geräumt, wenn du regieren würdest.«
»Hör auf, Turi«, sagte Umber und wandte sich ab.
»Ich könnte dir helfen, Umber. Ich würde dir dienen. Und ich könnte dir zeigen, wie du diesen Jungen für deine Zweckenutzen könntest!« Ein langer Finger mit vorstehenden Knöcheln zeigte auf Hap, und sogleich zuckte seine Haut von Kopf bis FuÃ.
»Genug, Turiana!«, rief Umber.
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