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Der Gefundene Junge

Der Gefundene Junge

Titel: Der Gefundene Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gedankenfetzen erwischt. Auch das kann sehr beunruhigend sein.« Umber lächelte schwach. »Ich glaube, das ist erst mal alles. Möchtest du immer noch durch diese Tür gehen?«
    Hap zitterten die Hände. »Ja, das möchte ich«, sagte er und legte sich den Umhang um die Schultern. Wenn es da drinnen Antworten gab, wollte er sie auch hören.
    Umber schluckte. Um seinen Hals baumelte eine Kette, an der ein Schlüssel hing. Er steckte ihn in das Schloss, drehte ihn um und hielt inne.
    Â»Noch eins«, sagte er mit einer Hand auf dem Türknauf. »Ich habe dir doch erzählt, dass Turiana früher einmal sehr schön war. Erinnerst du dich?«
    Hap nickte.
    Â»Das ist nicht mehr der Fall«, sagte Umber. Die Tür ächzte, als er sie aufstieß.
    Ein eiskalter Windstoß blies Hap entgegen, als sie in eine ovale Kammer traten. In der Mitte des Raums erstreckten sich eiserne Gitterstäbe vom Boden bis zur Decke und machten aus der anderen Hälfte eine Gefängniszelle.
    Die Zelle hatte nichts Unbarmherziges an sich. Ihre Einrichtung hätte einen König beherbergen können. Hinter den Gitterstäben, so nah, dass Besucher ihn hätten erreichen können, befand sich ein Eichentisch mit Käse, Brot, einer Schale Obst und einer Karaffe Wein. Nichts davon war angebissen oder auch nur berührt worden. Man sah ein Bett mit seidenem Bettzeug, einen mit goldenen Stickereien verzierten Teppich, hübsche Wandteppiche, einen Schreibtisch, ein Sofa und schließlich in der dunkelsten Ecke einen Stuhl, auf dem eine grausige Gestalt saß.
    Hap entfuhr ein leiser Aufschrei. Zuerst dachte er, dort auf dem Stuhl sei eine Leiche zurückgelassen worden und mit der Zeit mumifiziert. Dann fiel ihm wieder ein, was Umber gesagt hatte: Die Hexe war in einen tiefen Schlaf gefallen.
    Umber legte seine Hände um die Gitterstäbe und drückte die Stirn daran. »Turiana«, sagte er leise. Und dann lauter: »Turi. «
    Hap zwang sich, die Hexe anzuschauen. Es war schwer zu glauben, dass durch diese Glieder noch Leben floss – sie sah aus, als säße sie seit tausend Jahren so starr da. Sie trug ein ausgeblichenes gelbweißes Kleid, das bis zu ihren nackten Füßen reichte. Die gelben Zehennägel waren wild gewuchert und krümmten sich wie Hobelspäne. Ihre Hände, durch deren dünneHaut zerbrechliche Knochen und dunkle Adern schimmerten, klammerten sich um die hölzernen Armlehnen des Stuhls. Ihr Kopf war vorgebeugt und das Gesicht durch einen grauen Schleier verdeckt. Zumindest hielt Hap es zuerst für einen Schleier; doch dann bemerkte er die winzigen vielbeinigen Tiere darin und erkannte, dass es in Wirklichkeit ein Spinngewebe war.
    Seine Zähne klapperten. Die Kälte ist nur in deinem Kopf , sagte er sich.
    Umber räusperte sich und sagte dann lauter: »Turi. Ich bin’s, Umber.« Hap schaute genau hin, registrierte jedoch keine Reaktion.
    Â»Ich habe jemanden mitgebracht«, sagte Umber. »Einen Jungen, der seit kurzem in meiner Obhut ist. Wir haben ihn in Alzumar gefunden. Es ist ein ganz erstaunlicher junger Mann mit merkwürdigen Fähigkeiten. Und er hat ganz besondere, leuchtend grüne Augen. Möglicherweise ist er das, was man einen Fädenzieher nennt.«
    Hap verschränkte fest die Arme und versuchte, nicht zu zittern. Die Gestalt auf dem Stuhl zeigte keinerlei Regung. »Ich glaube nicht, dass sie Sie hören kann«, flüsterte Hap.
    Â»Sie hört alles«, erwiderte Umber.
    Hap starrte wieder die reglose Gestalt der Hexe an und runzelte die Stirn. Er wollte so gern mehr über seine Herkunft wissen und über den Widerling, der ihn verfolgte. Eine lebhafte Erinnerung an Occo kam ihm in den Sinn: die zischende Stimme und die Beine mit den seltsamen Gelenken. In dem Moment sah er, dass die Spinngewebe, die Turianas Gesicht bedeckten, sanftzu flattern begannen. Eine Spinne ließ sich an ihrem Faden herab und krabbelte in eine Falte des ausgeblichenen Kleides.
    Zuerst war es nur schwer wahrnehmbar, doch die Hexe bewegte sich. Ihr Kopf drehte sich so langsam wie der Mond, bis er Umber und Hap zugewandt war. Hap schlotterten die Knie. Er hörte ein papierenes Knistern, als sie ihre verdorrten Finger von der Stuhllehne nahm und an ihr verschleiertes Gesicht führte. Ein gelber Fingernagel riss ein Guckloch in das Spinngewebe. Hap sah ein winziges Schimmern an der Stelle, durch die ihr

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