Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
was die auf Latein und Griechisch abgefassten Frachtbriefe betraf, da zeigte er sich doch recht umgänglich, und er begann, ihn auch mit anderen geschäftlichen Belangen vertraut zu machen, die nicht unbedingt zu seinen Aufgaben gehörten. Jona sollte mehr bei ihm lernen als nur das, was ein gewöhnlicher Schreiber wissen und können musste. Dabei erfuhr er, dass Elia auch in Caesarea und in Sidon Läden und Lagerhäuser besaß.
Jona bezog eine kleine, aber recht ansprechende Unterkunft in einem Haus nahe der Lagerschuppen, in dem noch andere Arbeiter wohnten, die bei Elia ben Eljasaf in Lohn und Brot standen. Und da er weder für Kost noch Logis aufkommen musste, konnte er jeden Denar sparen, der ihm ausgezahlt wurde. Sein innigster Wunsch, der ihm bis dahin wie ein unerfüllbarer Traum erschienen war, nämlich Tamar zu seiner Frau zu gewinnen und ein gesichertes Einkommen für einen gemeinsamen Haushalt vorweisen zu können, konnte nun in einem oder zwei Jahren in Erfüllung gehen.
Er besuchte auch weiterhin am Sabbatmorgen die Synagoge, und ganz allmählich führte ihn Elia, der wusste, wie es um ihn und Tamar stand, in seine Familie ein. Dabei ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, kurz mit Tamar allein zu sein, wobei ihre Gespräche offener wurden und sie sich schließlich gegenseitig ihrer Liebe versicherten. Es begann mit einer Einladung zum Laubhüttenfest, an dem er in Begleitung des Verwalters teilnahm. Dieser Einladung folgten andere, wohl dosierte Gunstbeweise, die schließlich in der Ehre gipfelten, im Monat Sebat 52 und wenige Wochen vor dem fröhlichen Purim-Fest 53 auch bei der Hochzeit von Elias jüngstem Sohn Amos zugegen sein zu dürfen, der nach dem Purim-Fest mit seiner frisch angetrauten Ehefrau und Dienerschaft nach Antiochia aufbrechen sollte, um dort eine Zweigniederlassung des väterlichen Handels zu gründen.
Jona war nie in seinem Leben glücklicher gewesen als in diesen Monaten, schien doch seine Zukunft gesichert und die Ehe mit Tamar bloß noch eine Frage der Zeit zu sein. Nur Timon fehlte ihm. Seine Gedanken weilten oft bei ihm, hörte man in den Straßen und auf den Märkten und Plätzen doch immer öfter den Namen Jesus fallen. Und viele sprachen mit großer Bewunderung und Verehrung von dem Nazoräer, inbesondere das einfache Volk.
Und dann kam jener kühle Morgen in der letzten Woche im Adar 54 , als Enosch ihm eine versiegelte Briefrolle in die Hand drückte und ihm auftrug, sie zu einem Geschäftspartner seines Herrn zu bringen. Es war der Morgen, an dem das launische Schicksal sein scheinbar so fest im Glück gegründetes Leben jäh aus der Bahn warf und ihm mit Verderben drohte.
6
Zügigen Schrittes und ein wenig fröstelnd, durchquerte Jona die nordwestlichen Viertel der Unterstadt auf dem Weg zum Geschäftsmann Jerimot ben Ehud, den er in einem Haus am Rand der Oberstadt aufzusuchen hatte. Diener, Mägde und anderes einfaches Volk belebten schon die Gassen und Straßen und die Straßenhändler und Verkäufer hinter den Garküchen hatten alle Hände voll zu tun.
Ganz in Gedanken versunken, die sich wieder einmal mit Tamar und ihrer gemeinsamen Zukunft beschäftigten, eilte er durch die verwinkelten und längst vertrauten Viertel Jerusalems. Er passierte einen hohen Mauerbogen und gelangte wenig später auf eine der großen Straßen am Rand der Oberstadt. Gerade zweigte er von ihr ab, als links von ihm plötzlich jemand lauthals schrie: »Eljakim!… Das ist einer von meinen Sklaven!… Haltet ihn!… Haltet den Mann dort!… Er ist ein entlaufener Sklave!«
Zu Tode erschrocken, fuhr Jona herum und sah zu seinem Entsetzen, keine zwanzig Schritte von ihm entfernt, den Gutsbesitzer Berechja und neben ihm seinen Aufseher Eljakim, der einen bepackten Esel am Strick hinter sich herführte.
»Drei Schekel demjenigen, der den Burschen zu fassen kriegt und mir bringt!«, gellte Berechja und wies mit ausgestrecktem Arm auf ihn. »Eljakim!… Verdammt noch mal, worauf wartest du? Ihm nach!«
Jona stopfte sich die Briefrolle in eine Gewandfalte unter seinem Gürtel und rannte los. Er sah noch, wie der Aufseher den Strick des Esels fallen ließ und ihm nachsetzte.
Von Panik getrieben, stürmte er an verdutzten Menschen vorbei, die noch nicht mitbekommen hatten, was das Geschrei zu bedeuten hatte, und suchte sein Heil in der Flucht. Er wünschte jetzt, Berechja hätte ihn in der Altstadt entdeckt und nicht hier, denn dort gab es tausend Ecken, Winkel und labyrinthische Bazare,
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