Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
seiner großen Erleichterung fest, dass auch bei ihm die Freude des Wiedersehens überwog und alle Sorgen und dunklen Gefühle in den Hintergrund drängte.
Timon lachte. »Entschuldige, aber du weißt ja gar nicht, wie oft ich an dich gedacht und mich gefragt habe, wie es dir wohl ergeht und wo du dich bloß herumtreiben magst. Dass du mit dem Fischhändler nach Jerusalem gereist bist, habe ich ja von Jakob erfahren. Aber das ist ja schon eine Ewigkeit her. Ich bin sicher, du hast mir viel zu erzählen.«
»Dies und das gibt es schon, was der Erwähnung lohnt«, erwiderte Jona vage. »Und vielleicht hätte ich besser daran getan, das Angebot des Fischhändlers nicht anzunehmen und in Kapernaum zu bleiben.«
»Du musst mir alles in Ruhe erzählen. Komm jetzt erst einmal mit zu den anderen und lass uns hören, was Jesus vorhat!«, forderte Timon ihn auf. »Bei ihm weiß man ja nie, was ihm im nächsten Moment einfällt. In letzter Zeit treibt ihn eine merkwürdige Unruhe an. Nirgends hält es ihn lange. Und manches von dem, was er von sich gibt, sorgt bei uns für reichlich Verwirrung und hat einen erschreckend unheilvollen Klang. Viele haben sich deshalb auch in letzter Zeit von Jesus abgewandt, weil sie andere Hoffnungen in ihn gesetzt hatten. Aber davon später mehr, wenn es dich interessiert.«
»Wer sind diese Frauen, mit denen dein Rabbi gerade spricht?«, wollte Jona wissen.
»Das sind Susanna und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes, sowie Marta und Maria aus Magdala, die Jesus sehr verehren und uns eine große Stütze sind. Vor allem Maria aus Magdala hat mit ihren finanziellen Mitteln dafür gesorgt, dass wir unser Auskommen haben. Und diese andere, zierliche Frau unter ihnen, das ist die Mutter von Jesus. Sie ist sehr still und redet kaum, wie du feststellen wirst, ist aber eine ganz wunderbare treue Seele.«
Ein kräftiger Mann, den Jona vom Sehen her kannte, kreuzte ihren Weg. Er erinnerte sich, dass sein Name Judas Iskariot war und er ebenfalls zum engen Kreis der Jünger zählte.
»Weißt du schon, wohin es jetzt gehen soll, Judas?«, sprach Timon ihn an.
Judas schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Er ist wirklich etwas unberechenbar geworden, wie du ja wohl auch mitbekommen hast, Thaddäus«, sagte er leise, aber mit unverhohlenem Verdruss. Und Jona hörte nach langer Zeit wieder den ursprünglichen Namen seines Freundes. »Vermutlich geht es erst mal wieder zurück nach Kapernaum, weil er Andreas und Petrus den Gefallen tun will, noch mal ihre Familien zu sehen, bevor wir dann wohl in der nächsten Woche nach Jerusalem aufbrechen.«
»Jesus will mit euch nach Jerusalem?«, fragte Jona und musste sich heftig zusammennehmen, um sich seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Er hatte noch immer im Ohr, was der Schächter im Gefängnis über den eisigen Wind gesagt hatte, der auf Jesus warten würde, wenn er sich in die heilige Stadt wagte. Und das Verhalten des Hohenpriesters hatte diese Vermutung noch am selben Tag zur Gewissheit werden lassen.
Timon nickte, während Judas sich von ihnen entfernte. »Ja, er will dort mit uns das Passah-Fest feiern.« Er verzog das Gesicht. »Na, viele werden es nicht sein, die dann noch bei ihm sind, wenn das so weitergeht. Jesus verschreckt nämlich in letzter Zeit mehr Anhänger, als er gewinnt. Aber wie gesagt, darüber reden wir später einmal, wenn wir unter uns sind.«
Die meisten, die sich um Jesus geschart hatten, kannte Jona von vorherigen, wenn auch nur flüchtigen Begegnungen. Man wusste, dass er ein guter Freund von Thaddäus war, und niemand schenkte ihm sonderliche Beachtung, worüber Jona auch sehr froh war.
Nur der Blick des Nazoräers ruhte beunruhigend lange auf ihm und er fühlte sich wie damals in der Synagoge bis auf den Grund seiner Seele durchschaut und wäre am liebsten davongelaufen. Aber er zwang sich, zu bleiben und dem Blick standzuhalten, während er sich sagte, dass es nur sein schlechtes Gewissen war, das sich meldete und diesen Eindruck in ihm hervorrief. Kein anderer Mensch konnte seine Gedanken lesen und seine Gefühle kraft seines Blickes ergründen. Und als Jesus ihm dann auch noch ein Lächeln schenkte und sich wieder den anderen zuwandte, wich die Beklemmung von ihm.
Es war, wie Judas Iskariot vermutet hatte: Es ging noch an diesem Tag zurück nach Kapernaum. Als sie auf der langen Wanderung Rast in einem Obsthain machten und Jona die Gelegenheit nutzte, sich hinter einem dichten Gebüsch zu
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