Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
ihnen versetzte ihm sogar mit seinem Ellbogen einen Stoß in die Rippen und zischte ungehalten: »Lass dein einfältiges Gesumme oder verschwinde, Bursche! Hörst du nicht, dass der Rabbi Jesus mit den Pharisäern aus Magdala spricht?«
Jona sank das Herz. Dass er gleich am ersten Tag Jesus in einem Streitgespräch mit Schriftgelehrten antreffen würde, war ein schlechtes Zeichen, machte es ihm die Arbeit doch von der ersten Stunde an schwer. Zwar gab es auch viele Schriftgelehrte und Priester, die wahrhaft fromm waren und sich wohltuend von den selbstherrlichen unter ihresgleichen abhoben und nicht auf das einfache Volk hinuntersahen, weil die harten Lebensumstände es diesem unmöglich machten, mit aller Strenge dem mosaischen Gesetz zu folgen. Leider gehörten die Anwesenden jedoch nicht zur Führungsschicht unter der Priesterschaft. Es blieb ihm daher nur zu hoffen, dass sich diesmal einige wohlgesinnte Pharisäer hier eingefunden hatten, um zu hören, was der Nazoräer predigte. Denn sich jetzt klammheimlich wieder verdrücken, das konnte er nicht. Also drängte er sich allmählich bis in eine der vorderen Reihen vor, hielt sich aber verdeckt hinter breitschultrigen Männern. Und ihn beschlich die niederdrückende Ahnung, dass er mehr zu hören bekommen würde, als er den Papyrusblättern in seinem Beutel anvertrauen durfte!
2
Jesus stand am Baum, während drei Schriftgelehrte ein gutes Stück von ihm entfernt auf Stühlen hockten, die man wohl aus der nahen Dorftaverne zu ihnen auf den Platz getragen hatte.
Gerade trat hinter diesen Pharisäern ein Mann hervor. Er zögerte und blickte kurz zu den Schriftgelehrten. Jona sah, wie einer von ihnen ihm kaum merklich zunickte, woraus er schloss, dass dieser Mann zu den Pharisäern gehörte, sich als solcher aber wohl nicht zu erkennen geben wollte. Und wie richtig Jona mit seiner Vermutung lag, bewiesen die scheinheiligen Worte, die der Mann im nächsten Augenblick an Jesus richtete.
»Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und dich um niemanden kümmerst. Denn du siehst nicht auf die Person, sondern du lehrst den Weg Gottes nach der Wahrheit«, sagte er scheinbar bewundernd und kramte dabei eine Münze hervor, die er ihm nun hinstreckte. »Sag uns, ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht?«
Ganz still wurde es. Denn nicht nur Jona begriff augenblicklich, dass es sich hierbei um eine raffinierte Fangfrage handelte. Denn was immer Jesus ihm nun darauf antwortete, er würde sich mit seiner Antwort in die Nesseln setzen. Denn bejahte er die Frage des Mannes, dann bekannte er sich zur Kollaboration mit den verhassten Römern und würde die Hoffnungen der Menschen auf Befreiung von der heidnischen Unterdrückung zunichte machen. Wenn er die Frage jedoch verneinte und den Tribut ausdrücklich verweigerte, dann machte er sich damit vor hunderten von Zeugen und drei Pharisäern die aufrührerischen Parolen der Zeloten zueigen und rief wie sie zum offenen Widerstand gegen Rom auf.
Gespannt wartete man auf die Antwort des Nazoräers, und manch einer fürchtete schon, dass er danach nicht ungeschoren davonkommen würde, was immer er auch sagte.
Jona glaubte nicht, dass auch nur einer der Zuhörer daran zweifelte, dass Jesus die Frage durchschaute. Doch der Nazoräer verzog keine Miene. Er trat zu dem Fragesteller, nahm die Münze, drehte sie kurz von einer Seite auf die andere und gab sie ihm wieder zurück. Dann fragte er: »Wessen ist das Bild und die Aufschrift auf deiner Münze?«
»Die des Kaisers«, antwortete der Mann verdutzt, wusste doch schon jedes kleine Kind, was auf einem Denar geprägt stand.
»Dann gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist... und Gott, was Gott ist!«, lautete nun Jesus’ überraschende Antwort. 12
Verblüffung zeigte sich auf den Gesichtern der Leute. Was für eine geniale Antwort! Der Nazoräer war mit diesen Worten der heimtückischen Fußangel entwichen, ohne sich jedoch untreu zu werden. Denn in einem Atemzug hatte er die Autorität des Kaisers respektiert, was die Steuern betraf, doch gleichzeitig hatte er darauf verwiesen, dass es noch eine viel höhere Instanz gab. Und was man dieser schuldig war, gewiss bedeutend mehr als dem Kaiser, das brauchte er nicht erst in Worte zu fassen, damit es alle begriffen.
Ein anerkennendes Raunen ging durch die Menge, und die Leute freuten sich sichtlich, dass der Nazoräer es den Herodianern wieder einmal gegeben hatte, ohne es jedoch offen
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