Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
was er sagt, wenn wir mit ihm allein sind. Aber ich denke, dir kann ich einiges davon anvertrauen.«
Jona biss sich auf die Lippen und schämte sich, dass er gezwungen war, das Vertrauen seines Freundes so schändlich zu missbrauchen. Aber er ließ ihn reden.
»Vor einigen Monaten waren wir wieder einmal drüben im Land des Herodes Philippus. Wir fuhren mit einem Boot hinüber und er predigte da am Ufer über das Kommen von Gottes Reich auf Erden. Er sagte, das Himmelreich komme nicht so, dass man sein Kommen beobachten könnte. Man könne auch nicht sagen ›Es ist hier!‹ oder ›Es ist da!‹. Sondern das Reich Gottes sei schon längst unter uns, aber bloß noch nicht offenbar geworden. Und er sprach vom Kommen des Menschensohns, womit er sich meint. Diese Bezeichnung benutzt er übrigens des Öfteren, und dann spricht er in der dritten Person von sich, als wäre er, der Menschensohn, dann irgendwie eine andere Gestalt. Das alles war schon verwirrend genug. Aber hinterher nahm er uns beiseite und vertraute uns noch viel mysteriösere Dinge an«, erzählte Timon. »Er sagte, der Menschensohn, also er, werde in die Hände der Menschen fallen und von ihnen getötet werden. Und es würden gleichzeitig Zeichen geschehen an der Sonne, dem Mond und den Sternen. Aber am dritten Tag werde er wiederauferstehen…« Und ganz leise fügte er dann noch hinzu: »Weil er der Messias und Gottes Sohn sei, geschickt vom Vater im Himmel, um die Schrift zu erfüllen und verherrlicht zu werden!«
Scharf zog Jona die Luft ein. »Hat er das wirklich gesagt?«, fragte er, obwohl er es doch vor Stunden selbst aus dem Mund des Nazoräers gehört hatte.
Timon nickte und machte ein gequältes Gesicht. »Ich weiß, es klingt verrückt und überspannt, als hätte Jesus sie hier oben nicht mehr alle beisammen«, er tippte sich dabei an die Stirn, »aber jetzt kannst du mich für verrückt erklären, wenn ich dir sage, dass ich nach all den Wundern, die ich ihn vollbringen gesehen habe, selbst glaube, dass er vielleicht wirklich der Messias ist. Aber falls er es wirklich ist, wie lässt sich das mit seiner schrecklichen Prophezeiung vereinbaren, dass er am Kreuz enden wird? Der Messias, den unser Volk doch schon so lange sehnsüchtig erwartet, soll unser Volk doch von der römischen Knechtschaft befreien, so wird es doch seit Generationen gesagt.«
»Richtig«, sagte Jona. »Der Messias wird die Heiden mit Feuer und Schwert hinwegfegen wie Spreu im Wind.«
»Du sagst es! Aber Jesus will von einem gewaltsamen Aufstand gegen die Römer nichts wissen, ganz im Gegenteil. Und das geht einigen von uns mächtig gegen den Strich, die fest damit gerechnet haben, dass Jesus seinen Ruf als heiliger Mann dazu nutzt, den Widerstand unter seiner Führung zu organisieren. Besonders Judas Iskariot und Simon der Zelot, der schon einmal einer Widerstandsgruppe angehört hat, sind bitter enttäuscht, dass dieser Aufstand nicht nur auf sich warten lässt, sondern vermutlich niemals mit Jesus zu machen sein wird. Sie haben all ihre Hoffnung in ihn gesetzt, dass er sich an die Spitze aller Zeloten stellen und unser Land befreien wird. Und jetzt sind sie tief enttäuscht, dass Jesus sich zwar als Gottes Sohn und Messias bezeichnet, aber im nächsten Atemzug seinen schändlichen Tod am Kreuz der Römer voraussagt und offenbar nicht die geringste Absicht hat, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Und dass er zum Passah-Fest mit uns nach Jerusalem will, also mitten in die Höhle des Löwen, begreifen sie schon gar nicht. Mich würde es deshalb auch gar nicht wundern, wenn sie und andere nichts mehr von ihm wissen wollen und sich schon bald davonmachen, so wie es in den letzten Wochen schon viele andere einstige Anhänger getan haben.«
»Das alles klingt wirklich sehr mysteriös und unheilvoll«, sagte Jona und brauchte seine Besorgnis gar nicht vorzutäuschen. »Vielleicht gelingt es euch ja doch noch, Jesus davon zu überzeugen, dass es nicht ratsam ist, sich ausgerechnet zum Passah-Fest in Jerusalem blicken zu lassen. Unter dem einfachen Volk hat er ja viele Bewunderer, die ihm bestimmt einen jubelnden Empfang bereiten werden. Aber die Priesterschaft ist wirklich nicht gut auf den Nazoräer zu sprechen, gelinde gesagt. Ihnen ist Jesus ein Dorn im Auge, und sie werden nichts unversucht lassen, um seinem Treiben ein für allemal ein Ende zu bereiten. Es ist wirklich mit dem Schlimmsten zu rechnen, wenn du mich fragst. Man sticht nun mal nicht ungestraft in ein
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