Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Wadi nach dem anderen in den Weg. Diesen felsübersäten, zerrissenen Grund vermochte Gerschon allein nicht zu bewältigen. Oft blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn zwischen sich auf ihre Hirtenstäbe zu setzen und ihn wie in einer primitiven Sänfte zu tragen. Ein überaus mühseliges und kräftezehrendes Unterfangen, das sie in der brütenden Hitze immer wieder an den Rand ihrer körperlichen Kräfte brachte. Erschwerend kam noch hinzu, dass sie ihre Wasservorräte streng rationieren mussten. Was sie in ihren Ziegenschläuchen hatten und eigentlich nur noch für einen Tagesmarsch für sie beide hatte reichen sollen, musste nun drei durstigen Wüstenwanderern für mindestens zwei, vielleicht sogar drei Tage das Überleben sichern.
Timon machte Jona keine erneuten Vorwürfe und verzichtete während der zermürbenden Tragepartien auch auf jegliche spitze Bemerkungen. Aber das war auch gar nicht nötig. Denn Jona schlichen sich nicht nur die vorhergesagten Flüche immer häufiger auf die Lippen, sondern schon am Mittag des ersten Tages befielen ihn heftige Zweifel, ob er mit seinem spontanen Hilfsangebot nicht einen schwer wiegenden Fehler begangen hatte. Eine Mischung aus Wut, Stolz und etwas anderem, was er nicht zu benennen vermochte, verbot es ihm jedoch, offen mit Timon darüber zu reden, ob sie es sich nicht noch einmal anders überlegen sollten.
Als Gerschons Erschöpfung am frühen Nachmittag wieder einmal eine längere Pause erzwang und er in den tuchschmalen Schatten eines einsamen Krüppelstrauches sank, setzten sich Jona und Timon, einige Schritte von ihm entfernt, in den spärlichen Schatten eines buckligen Felsens.
Jona drängte es förmlich danach, seinem Gefährten einzugestehen, dass er Angst hatte, es bei diesem Schneckentempo nie und nimmer lebend aus der Wüste zu schaffen. Aber er biss sich auf die Lippen, damit ihm das Eingeständnis, dass ihm sein eigenes Überleben wichtiger war als das dieses Fremden, nicht doch noch herausrutschte.
»Irgendwo dort müssen die Felsterrassen von Qumran liegen«, sagte Timon unvermittelt und deutete über das öde, felsige Land gen Osten. »Sie dürften jetzt gerade ihre mittäglichen Gebete verrichten, in weiße Gewänder gekleidet und im kühlen Raum ihres Bethauses.«
»Das klingt ja so, als würde es dich irgendwie zu diesen Essenern hinziehen«, nahm Jona bereitwillig das Stichwort auf, war ihm doch jedes Thema recht, das ihn von seinen beschämenden Gedanken ablenkte.
Timon zuckte unschlüssig die Achseln. »Na ja, an die strengen Regeln gewöhnt man sich schon mit der Zeit, wenn einem die Gemeinschaft wichtig ist und man die Lehre glaubt. Sie werden einem schnell zur zweiten Natur. Und es ist ja auch nicht alles schlecht bei ihnen.«
»So? Da habe ich bisher aber ganz andere Geschichten über die Qumraner aus deinem Mund gehört!«, sagte Jona herausfordernd. »Jedenfalls war nichts dabei, was du besonders gut oder gar erstrebenswert gefunden hättest.«
»Das war eben nur die eine Seite der Münze...«, erwiderte Timon.
Jona bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Was du nicht sagst! Und wie sieht diese andere, diese… rühmliche Seite von Qumran aus?«
»Nun ja, erst einmal verabscheuen sie privaten Besitz und das Streben nach Macht und Reichtum...«, begann Timon.
»Was ja auch bestens zu dem geheimnisvollen Getue um die kupfernen Schatzrollen passt«, warf Jona bissig ein.
»Was es damit auf sich hat, weiß ich auch nicht. Aber sie führen wirklich ein bescheidenes Leben. Und sie lehnen die Sklaverei ab. Sie sagen, alle Menschen sind gleich...«
»Du meinst, solange sie zu den ›Söhnen des Lichts‹ gehören und nicht zu denen, die zu ewiger Finsternis verdammt sind.«
»Nein, ganz grundsätzlich. Sklaverei ist in ihren Augen eine abscheuliche Sünde und ein schwerwiegender Verstoß gegen Gottes Schöpfung. Alle kommen mit den gleichen Rechten und Segnungen Gottes auf die Welt, so lehren sie es, und daher dürfe niemand einen anderen Menschen zu seinem Sklaven machen.«
»Stimmt, das ist wirklich etwas Neues«, antwortete Jona, denn ihm war kein Volk und nicht einmal eine Priesterschaft bekannt, die sich gegen jede Form der Sklaverei aussprach, so wie diese Essener. Nicht einmal die Tora, die im Gegensatz zu den Religionen der Heidenvölker mit ihren zahllosen Götzen und Gottheiten den Herrn als den einen und einzigen Gott bezeugte, neben dem es keine anderen Götter gab, verbot die Sklaverei unter Juden. »Aber das würde
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