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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Auflachen den Kopf. »Nein, da wirst du ihn nie sehen. Der Mann weigert sich nämlich standhaft, da vorn bei den Vornehmen unserer Gemeinde Platz zu nehmen. Jakim, unserem Synagogenvorsteher, macht das nichts aus, denn er ist ein umgänglicher und nachsichtiger Mann. Aber den anderen, die um Schrein und Lesepult sitzen, missfällt sein Verhalten sehr. Sie betrachten seine Weigerung als Provokation. Und ich denke mal, so soll sie auch verstanden werden.«
    Innerhalb kürzester Zeit füllte sich das Bethaus bis auf den letzten Sitzplatz, und wer danach kam, musste sich mit vielen anderen an den Seiten mit einem Stehplatz begnügen.
    Plötzlich veränderte sich der unbeschwerte, fröhliche Lärm. Das allgemeine Gerede erstarb, und ein fast ehrfürchtiges Raunen, das vom Eingang ausging, erfüllte den Raum.
    »Das ist er!«, sagte Jakob. »Der schlanke Mann mit dem schulterlangen Haar und dem kurzen Bart dort, der gerade zur Tür hereingekommen ist und sich drüben an der Wand zu den anderen gestellt hat!«
    Jonas Blick musterte neugierig diesen Mann, von dem es hieß, er habe die Gabe der prophetischen Rede. Aber nichts an der schlanken Gestalt, die in ein schlichtes Gewand gekleidet war, deutete auf Außergewöhnliches hin. Ausgenommen vielleicht die auffallend ebenmäßigen Züge, die man mit den geläufigen Bezeichnungen wie Schönheit und Anmut nicht hätte erfassen können. In diesen Zügen lag etwas, das er nicht in Worte zu fassen vermochte. Dieses Gesicht strahlte eine starke innere Kraft und Gelassenheit aus, die nichts mit einem Gefühl der eigenen Wichtigkeit zu tun hatte, geschweige denn mit Überheblichkeit und Arroganz. Jona hatte den verwirrenden Eindruck, als wäre dieser Mann dort, der doch im Zentrum des geballten Interesses und der Neugier aller hier im Haus Versammelten stand, als wäre er... ja, wie sollte er es ausdrücken?… völlig mit sich im Reinen und im Frieden mit der Welt... Aber nein, auch das traf es nicht wirklich. Da war mehr, doch was genau es war, entzog sich seiner bewussten Erkenntnis, wie sehr er auch darüber nachgrübelte.
    Plötzlich wandte der Nazoräer den Kopf und begegnete seinem Blick. Jona schien es, als strömte quer durch den Raum eine fremde Kraft, die ihn ergriff und tief in ihn drang. Eine Kraft, die in ihm das verstörende Gefühl weckte, als könnte sie bis in seine geheimsten Gedanken und Empfindungen vordringen.
    Im nächsten Moment wandte der Nazoräer seinen Blick wieder von ihm ab, worüber Jona geradezu erleichtert war. Und um seine Fassung wiederzufinden, versicherte er sich im Stillen, dass ihn Jakobs Gerede von der ungewöhnlichen prophetischen Gabe dieses Mannes wohl stärker beeindruckt hatte, als er sich selbst bewusst gewesen war, und er deshalb etwas in diesen intensiven Blick hineingedeutet hatte, was doch nur in seiner Fantasie existierte. Und er war froh, als Augenblicke später auch schon der Gottesdienst begann und das vertraute Ritual ihn von dem merkwürdigen Erlebnis ablenkte.

4
    Der Synagogenvorsteher Jakim erhob sich von seinem Platz und sprach einen rechts von ihm sitzenden Mann an. Gemeinsam gingen sie zu dem hölzernen Kasten und der Aufgerufene begann laut zu beten. Er pries Gott und seine Taten. Nach jedem Abschnitt des Gebets antwortete die Gemeinde mit Amen, und die Worte »Höre, Israel, der Herr ist Gott, der Herr allein!« schallten durch das Bethaus.
    Danach ging Jakim zu einem zweiten Mann, der mit ihm nun an den Tora-Schrein trat. Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen. Dann sprach der Mann mit klarer Stimme und ohne einmal zu stocken nacheinander die achtzehn Berachot. Auf jeden dieser Segenssprüche folgte auch hier wieder das Amen der versammelten Gemeinde.
    Der zweite Vorbeter begab sich zurück auf seinen Platz. Indessen hatte sich der Synagogendiener erhoben, der Jakim zur Hand ging und das Gebäude die Woche über in Ordnung hielt. Er trat an den Schrein, holte die mit einem bunten, reich bestickten Tuch umwickelte Tora-Rolle heraus, hielt sie für alle gut sichtbar hoch, legte sie, nachdem er ein kurzes Gebet gesprochen hatte, auf das kleine Lesepult und öffnete sie. Nachdem der Synagogenvorsteher nacheinander auf zwei Männer aus der Gemeinde gedeutet und sie ans Pult gebeten hatte, damit sie jeweils einen kurzen Abschnitt vortrugen, fehlte jetzt nur noch der dritte Lektor, um die Schriftlesung mit dem Hauptteil zu beenden.
    »Passt auf! Jetzt wird Jakim diesen Jesus von Nazareth auffordern, aus der Schrift

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