Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
es ein wildes Durcheinander gab. Doch er verlor ihn aus den Augen, und als er mit der Menge ins Freie strömte, war von Jesus weit und breit nichts mehr zu sehen.
»Schlangen und Nattergezücht? Ungeheuerlich! Dass man sich das sagen lassen muss!«, stieß einer der Schriftgelehrten empört hervor, als er mit seinem Kollegen an Jona vorbeikam. Beide hatten sie hochrote Köpfe und finstere Mienen. »Dieser Mann ist ein falscher Prophet! Solch ein abgekartetes Schauspiel! Dagegen muss man etwas unternehmen!«
»Du sprichst mir aus der Seele! Eine Schande ist dieser Mann! Aus der Stadt gepeitscht gehört er und das wäre noch eine milde Strafe!«, pflichtete ihm der andere Schriftgelehrte erregt bei. »Kein Wunder, dass seine eigene Familie ihn für verrückt erklärt haben soll! Dass jetzt einige von ihnen ihm dennoch nachfolgen, ändert nichts daran!«
»In seinem Heimatort haben sie recht daran getan, als sie ihn vertrieben haben! Ja, hätten sie es doch nur geschafft, ihn vom Steilrand des Berges in die Tiefe zu stürzen, wie sie es versucht haben. Es wäre eine gerechte Strafe gewesen! Soll er doch in der Synagoge von Nazareth nach der Schriftlesung und einer seiner aberwitzigen Auslegungen gesagt haben: ›Heute ist dieses Schriftwort erfüllt, vor euren Ohren.‹ Was für eine maßlose Anmaßung von diesem kleinen Bauhandwerker vom Land! 41 « Und mit stürmischem Schritt und wehenden Gewändern eilten sie davon.
Jakob und Timon standen wie Jona noch ganz unter dem Eindruck des unglaublichen Geschehens, dessen Zeuge sie im Bethaus geworden waren.
Jakob schüttelte den Kopf und fuhr sich über das Gesicht, als wollte er sich wie nach einem Schlaf von einer Benommenheit befreien. »Dass es eindrucksvoll werden würde, wenn dieser Jesus von Nazareth ans Pult tritt und die Schrift auslegt, habe ich ja gewusst«, sagte er aufgewühlt. »Aber das...« Er schüttelte nur fassungslos den Kopf, weil ihm die Worte fehlten für das, was sie gehört und mit angesehen hatten.
»Es war... unglaublich«, murmelte Jona, und er hatte das Gefühl, etwas Unwirkliches erlebt zu haben. Aber das Wunder war tatsächlich vor ihren Augen geschehen. Und wie sollte es das billige Schauspiel eines Betrügers gewesen sein, wenn doch jeder in Kapernaum diesen Efraim kannte und wusste, dass er schon lange vorher vom Dämon besessen gewesen war, bevor der Nazoräer zum ersten Mal in ihren Ort gekommen war?
Timon sagte gar nichts. Wortlos und mit abwesendem Blick stand er bei ihnen, als höre er sie gar nicht und sei völlig in seinen Gedanken gefangen.
»Dieser Jesus muss einfach ein Prophet sein!«, sagte Jakob mit besonderem Nachdruck, als wollte er einen aufkeimenden Zweifel in sich zum Schweigen bringen.
»Ja«, kam es da auf einmal unerwartet von Timon. »Das ist er mit Sicherheit!«
Als Jona sich mit seinem Freund in der folgenden Nacht auf den Matten des Flachdaches zum Schlafen legte, blickten sie zu den Sternen hoch und redeten noch lange über die wundersame Begegnung mit dem Mann aus Nazareth, der sie mit seiner Auslegung der Schrift, mehr aber noch durch seine Dämonenaustreibung tief beeindruckt, ja regelrecht aufgewühlt und verstört hatte.
Mit einem Mal sagte Timon, als sie eine ganze Weile geschwiegen hatten und Jona schon fast eingeschlafen war: »Ich habe nie darüber mit dir gesprochen, aber als wir damals bei Johannes dem Täufer waren und wir uns hinter den Büschen ein wenig Schlaf gegönnt haben, da habe ich einen seltsamen Traum gehabt.«
Jona horchte auf. »So?«
»Ich habe eine Stimme gehört, die aus dem Himmel zu kommen schien und die zu einem Mann, der mit Johannes dem Täufer im Jordan stand, sagte: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden! Und dann sah ich noch eine Taube herabfliegen, die ihre Flügel über dem Kopf dieses Mannes ausbreitete und dort kurz verharrte. Lach mich nicht aus, aber... aber ich glaube, dieser Mann war Jesus von Nazareth!«
Jona lachte nicht, sondern bekam einen Schauer, als wäre plötzlich ein frischer Nachtwind aufgekommen und über sie hinweggefahren. Denn er hatte denselben Traum gehabt!
5
Das Schleppnetz, das sie in Ufernähe durch das im Morgenrot aufleuchtende Wasser zogen, war an die hundert Ellen lang und hatte eine Breite von rund zehn Ellen. Oben war es mit Schwimmern versehen, während es unten mit Bleiblomben beschwert war, damit es gerade in die Tiefe sank und sich dabei glatt entfaltete.
Jona zog im ruhigen Rhythmus mit dem Rest der
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