Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Eingangstor an den breiten Weg vor dem Ufer grenzte. Dünne Rauchfahnen stiegen schon jenseits der Außenmauer auf.
Hinter dem Rundbogen gelangten sie in einen Innenhof, in dessen Zentrum sich das gemauerte Rund eines Brunnens befand. Nachdem sie einen weiteren, schmalen Durchgang passiert hatten, erreichten sie das weiß gekalkte Würfelhaus seiner Familie. Wie bei den Behausungen der einfachen Bevölkerung üblich, bestand das Innere nur aus einem einzigen großen Raum ohne jede Zwischenwände. Und auch die Steintreppe auf das mit Matten ausgelegte Flachdach fehlte nicht.
Mirjam, eine junge Frau von anmutiger Gestalt und stillem Wesen, freute sich mit ihrem Mann über den unerwarteten Besuch des Verwandten und seines Freundes. Auch für sie stand es außer Frage, dass Timon und Jakob ihnen im Haus willkommen waren und so lange mit ihnen leben würden, bis sie Arbeit gefunden hatten und selbst für eine eigene Unterkunft sorgen konnten.
Während Jakob es sich mit Timon und Jona auf den Matten des Daches bequem machte, sich erzählen ließ, was Timon aus seinem Heimatdorf zu berichten hatte, und wissen wollte, wie es ihm und seinem Vater in all den Jahren ergangen war, richtete seine Frau rasch ein reichhaltiges Mahl zu Ehren ihrer Gäste her. Es bestand hauptsächlich aus frischem Fisch, Salat und herrlich gewürztem Fladenbrot.
Wie Jona und Timon bald feststellen sollten, achtete Mirjam mit allergrößter Sorgfalt darauf, jede Mahlzeit nach dem strengen jüdischen Speisegebot 34 zuzubereiten. Fleisch von Tieren, die keine Wiederkäuer waren und keine gespaltenen Hufe hatten, rührte sie auf dem Markt erst gar nicht an, ebenso wenig gelangten Fische ohne Flossen und Schuppen in ihre Küche. Auch unterlief ihr nie der unheilvolle Fehler, Fleisch und Milcherzeugnisse nah beieinander aufzubewahren, geschweige denn gemeinsam aufzutischen. In ihr Haus und auf ihren Tisch kamen ausschließlich koschere Lebensmittel. Und wenn es bei ihnen einmal Fleisch gab, so verwandte sie stets viel Sorgfalt darauf, sich davon zu überzeugen, dass der Schächter alle Gebote der rituellen Schlachtung beachtet und nicht nur Fett und Talg entfernt hatte, denn dies gehörte dem Herrn ebenso wie das Blut, sondern auch die Adern, konnte in ihnen doch auch noch Blut enthalten sein. Auch wässerte sie Fleisch stets ausgiebig und salzte es danach kräftig ein, weil durch die Wirkung des Salzes auch noch der letzte Rest Blut aus dem Fleisch gesogen wurde. Darauf folgte ein ebenso gewissenhaftes Abwässern. Erst dann war es wirklich koscher und damit zum Verzehr geeignet.
Für Mirjam wie für jede streng gläubige Jüdin waren die Küche sowie die einfache, niedrige Holzplatte, auf der sie ihrer Familie das Essen vorsetzte, so heilig wie der Altar im Tempel. Nichts Unreines durfte darauf liegen.
Während Jakob, Timon und Aaron bei untergehender Sonne auf dem Flachdach saßen und darauf warteten, zum Essen hinuntergerufen zu werden, kam das Gespräch irgendwann auch darauf, dass am Abend des nächsten Tages Sabbat war und am darauf folgenden Morgen der gemeinsame Gang in die Synagoge anstand.
»Ihr seid gerade richtig gekommen, um diesen fremden Rabbiner kennen zu lernen, der seit einiger Zeit bei uns in Kapernaum ist und schon viele Anhänger um sich geschart hat«, berichtete er ihnen. »Es heißt, dass er übermorgen wieder einmal die Schrift auslegen wird. Und das ist ein Erlebnis, das ihr so schnell nicht vergessen werdet. Denn so, wie er predigt und lehrt, habe ich noch nie einen Schriftgelehrten reden gehört. Meine Fischerfreunde Simon und Andreas sowie Jakobus und Johannes, die beiden Söhne des Zebedäus, können gar nicht genug von seinen Reden bekommen. Sie haben sogar ihren Beruf aufgegeben, um ihm zu folgen. Er zieht nämlich rastlos durch das Land.«
»Wer ist dieser Schriftgelehrte?«, fragte Jona mehr aus Höflichkeit denn aus wirklichem Interesse. Er war mit seinen Gedanken schon bei dem Essen, das sie in Kürze erwartete. Der Duft von gebratenem Fisch stieg ihm von unten in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Na ja, streng genommen ist er ja kein richtiger Schriftgelehrter, denn es heißt, er ist nur der Sohn eines Bauhandwerkers aus einem unbedeutenden Nest namens Nazareth und ist nie bei einem anerkannten Meister der Schrift in die Lehre gegangen«, schränkte Jakob ein. »Aber seine Anhänger nennen ihn dennoch Rabbi 35 , und sie hängen an seinen Lippen, als flössen von ihnen göttliche
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