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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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telefonieren regelmäßig.«
    War es ein Trost, mit Louise zu sprechen? Ja, schon. Weil es so war wie vorher. So, wie sie bisweilen die Nummer von Mårtens altem Handy wählte, nur, um für die kurzen Sekunden, die sie brauchte, um die Nummer einzutippen, in der Illusion leben zu können, alles sei wie vorher. Dass Mårten sich am anderen Ende melden würde.
    »Gibt es Freunde? Der Kollege, mit dem du ausgestellt hast? Fühltest du dich von solchen Leuten unterstützt?«
    Sollte sie die Wahrheit sagen und von intensiven Begegnungen erzählen, mit denen sie diese schreiende Einsamkeit für einen Abend oder eine Nacht hatte füllen wollen? Nicht jetzt.
    »Einige melden sich regelmäßig. Und hören nicht auf anzurufen, auch wenn ich manchmal keine Lust zum Reden habe. Du zum Beispiel. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch wenn es nicht immer so wirkt.«
    Sie rührte mit dem Löffel in ihrer Kaffeetasse und versuchte, sich verständlich auszudrücken.
    »Was du über die Trauer gesagt hast, dass sie eine Mischung von Gefühlen ist, Schuld unter anderem. Weißt du, dass ich mich manchmal so furchtbar schuldig fühle? Weil ich Mårten nicht oder nicht oft genug gezeigt habe, wie sehr ich ihn liebte. Weil ich ihn angefaucht habe, wenn er alle Milch austrank. Weil ich ihn nicht oft genug umarmt und mir keine Überraschungen wie spontane Reisen ausgedacht habe…«

    »Sicher hast du ihm deine Liebe gezeigt. Ich habe mir immer gewünscht, du würdest mich so ansehen, wie du ihn ansahst. «
    Sie schwiegen. Niklas schaute aus dem Fenster, als er weiterredete.
    »Ich meine natürlich, ich wollte, dass meine Freundin mich so anschaute. Das andere war Wunschdenken.«
    Für einen kurzen Moment war sie unsicher, ob es sich tatsächlich um einen Versprecher handelte. Dann streckte Niklas die Hand nach dem Briefumschlag aus. Sie überlegte, was er gemeint haben mochte und warum dieser Abend sie dazu brachte, so schwierige Dinge zu auszusprechen.
    »Ist das alles, was du gefunden hast?«
    »Ich habe nur den Brief und einige Zeitungsausschnitte mitgebracht. Die meisten sind ebenfalls von 1916. Da steht sehr viel über den Krieg. Und die Anzeigen lassen wirklich darüber staunen, wie unsere Verwandten vor einigen Generationen gelebt haben.«
    Niklas zog die dünnen Blätter aus dem Umschlag und fing an zu lesen. Ab und zu schüttelte er den Kopf.
    »Nackte Eingeborene in kleinen Hütten … welch ein Glück, dass weiße Missionare gekommen sind und alles verändert haben. «
    »Ich weiß, es fällt leicht, sarkastisch zu werden. Und doch bin ich beeindruckt. Von einer Mission derart erfüllt zu sein, dass alles andere unwichtig wird. Auch die eigene Sicherheit und Bequemlichkeit.«
    »Aber damals waren die Zustände in Schweden doch auch ziemlich erbärmlich. Wie überall in Europa natürlich. Es herrschte Krieg. Die Menschen froren und hungerten.«
    »Aber ja wohl nicht in allen Kreisen?«
    »Nein, aber vielleicht in den Kreisen, aus denen Lea stammte.
Und das mit der Respektlosigkeit stimmt. Sie muss wirklich witzig gewesen sein.«
    »Was sagst du zum Ende des Briefes? Über Reue und dass nachts etwas passiert ist. Dass sie Lebende und Tote verurteilt haben.«
    »Eine Anspielung auf das Glaubensbekenntnis? Vielleicht haben sie jemanden falsch beurteilt. Dass zwei Frauen das Bedürfnis empfinden, einander zu verzeihen, ist doch nicht so ungewöhnlich.«
    »Du bist ja vielleicht zynisch.«
    »Zynisch? Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht zynisch, vielmehr realistisch dagegen. Was meinst du denn?«
    Sie spielte ein wenig mit den Zeitungsausschnitten herum.
    »Ich glaube, dass es etwas bedeutet. Angeblich konnten die Frauen in der Familie meines Vaters Ereignisse vorausdeuten. Solveig hat erzählt, dass Großmutter oft Besuch von Leuten bekam, die etwas verloren hatten. Sie fand Geld und Schlüssel und sah einer Frau an den Augen an, ob sie schwanger war, lange, eh sie das selbst wusste. Einmal hat sie einer Nachbarin geholfen, deren Verlobter sie verlassen wollte. Großmutter erklärte, es liege daran, dass die Frau unter den Armen Talg benutzte. Ihr Verlobter verabscheute diesen Geruch. Und das stimmte dann auch.«
    »Weil der Verlobte es deiner Großmutter erzählt hatte.«
    »Du bist wirklich zynisch.«
    »Nein, aber ich glaube daran, was ich sehe und höre. Oft sind solche Vorahnungen sicher nur die Summe der Informationen, die wir aufgenommen haben. Vielleicht unterbewusst, aber dennoch.«
    »Ich sage ja nicht, dass ich daran

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