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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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freimütig, wenn man das so sagen kann. Und am Ende des Briefes schreibt sie über Reue wegen eines bestimmten Vorfalls. Ich werde nicht schlau daraus und wüsste eben gern mehr. Und sei es nur, um etwas über meine Großeltern zu erfahren.«
    »Meine Großmutter hat sich gelinde gesagt frech ausgedrückt. Und sie nannte sich wirklich Lea. Oder Rakel, als sie im Fieber phantasierte. In Wirklichkeit hieß sie Linnea, wenn
sie uns nicht alle an der Nase herumgeführt hat«, sagte Sara Moreús nach einer kurzen Pause.
    »Meine Großmutter hieß Rakel.«
    Sie schwiegen.
    »Und deine Großmutter Lea war Missionarin?«
    »Ja, das stimmt«, sagte Sara Moréus endlich. »Aber wenn wir weiter darüber reden wollen, dann sollten wir uns lieber treffen. Leider habe ich im Moment keine Zeit, nach Marstrand zu kommen. Ich arbeite an einem großen Gartenprojekt, das nächste Woche fertiggeplant sein muss. Ich hätte das niemals übernehmen dürfen aber man lernt dabei immer etwas. Und sei es nur, nein zu sagen.«
    Das klang sympathisch. Inga hörte sich sagen, dass sie noch an diesem Nachmittag nach Malmö kommen könne. Es musste seltsam klingen. Eine fremde Frau, die einfach beschloss, sich ins Auto zu setzen und mehrere Stunden zu fahren, um eine Unbekannte zu treffen. Sara Moréus konnte nicht wissen, dass das Auto für Inga eine trauerfreie Zone war. Es hing damit zusammen, unterwegs zu sein. Eingeschlossen zu sein in einem Kokon aus Metall und sich auf etwas anderes konzentrieren zu müssen als sich selbst. Außerdem wurde sie das seltsame Gefühl nicht los, dass die Suche nach dem, was damals passiert war, ihr weiterhelfen würde.
    »Ja, wie gesagt, eigentlich habe ich keine Zeit, aber jetzt bin ich doch neugierig. Und ich muss heute irgendwann etwas essen. «
    »Ich vergesse auch immer das Essen, wenn ich mitten in einem Projekt stecke.«
    Sara Moréus sprach jetzt über die Vor- und Nachteile einer eigenen Firma, und als sie mit den Worten »jetzt muss ich aber aufhören« auflegte, merkte Inga, dass sie sich auf diese Begegnung freute. Sie versprach, Bescheid zu sagen, sobald sie losfuhr.
Dann packte sie einige der Dinge ein, die sie gerade erst ausgepackt hatte.
    Erst als sie die Fähre verlassen wollte, als sie zum Auto ging und es aufschloss, fiel ihr ein, dass sie Niklas hätte informieren müssen. Sie zog ihr Handy hervor und teilte per SMS mit, sie fahre nun nach Malmö, um ihre Suche fortzusetzen. Niklas hatte den ganzen Tag Termine mit Kunden, und sie wollte ihn nicht durch einen Anruf stören. Vielleicht hatte sie auch Angst davor, er könne ihr von dieser Fahrt abraten. Und sie überreden, sich lieber wieder am Abend mit ihm zu treffen.
    Möglicherweise hatte sie auch Angst, dass er ihr nur alles Gute wünschen würde. Dass er sie damit in den widerlichen Abgrund stürzte, der »allein zurechtkommen« heißt.
     
    Als sie nach einigen Stunden fast ununterbrochener Fahrt in Malmö herumkreiste, um den Weg zu Sara Moréus’ Adresse zu finden, fühlte sie sich ungewöhnlich gut in Form. Die Autofahrt hatte die gewünschte Wirkung. Vielleicht, weil alle Dinge unabhängig von ihr geschahen. Das Leben ging weiter und wechselte vor dem Autofenster die Kulissen. Und sie brauchte einfach nur mitzugleiten.
    Aber der Erste Weltkrieg ging ihr nicht aus dem Kopf. Verdun und Ypern. Für ihre Großeltern waren diese Ortsnamen Wirklichkeit gewesen, für sie selbst Historie. Dabei waren ihre Geschichtskenntnisse nicht schlechter als die anderer.
    Wenn sich die Wissenskette zwischen damals und heute wiederherstellen ließe, würde sie vielleicht ihren eigenen Platz darin finden. Wer sich als Teil eines Größeren sah, musste nicht immer nur an das eigene Ich denken. Dann würde es leichter werden, mit Dingen wie Neid umzugehen. In den stummen Stunden im Auto, die sie absichtlich nicht mit Musik gefüllt hatte, hatte der Erste Weltkrieg sie gegen ihren Willen dazu gebracht,
über eine Frau nachzudenken, die sie für eine Freundin gehalten hatte. Jene, die gesagt hatte, sie habe Mårten so schnell vergessen.
    Eigentlich war sie selbst an allem schuld. Etliche Bekannte, nicht nur diese eine Frau, hatten im Lauf der Jahre ihre Person und ihr Verhalten auf herablassende Weise kommentiert. »Ach, du bist aber schlank. Kein Muskel am ganzen Leib.« Oder: »So eine wie du kann ja wohl nicht mit Geld umgehen.« Ganz zu schweigen von dem alten Kollegen, der ihre Absicht, Mårten zu heiraten, so kommentierte: »Ihr zwei? Ihr passt doch

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