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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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klang müde, vorwurfsvoll und irgendwie verzweifelt.
    »Glaubst du, ich sehe nicht, was du hinter meinem Rücken treibst, Carl? Du gibst vor, in die Bücher zu schauen, aber in Wirklichkeit trinkst du aus der Flasche, die du dort versteckt hast. Können wir uns dieses Schauspiel nicht ersparen?«
    Und dann Carl Ottos resignierte Antwort.
    »Liebe Amanda. Ist Verstellung denn nicht alles, was wir noch haben? Lass uns also weiterspielen. Dann behalten wir beide ein wenig von der Würde, die wir nicht verdienen.«
    Ich wagte fast nicht, mich zu bewegen. Amanda Otto schien Kummer und Hochmut hinunterzuschlucken.
    »Ich habe Lea gesagt, dass sie gehen muss. Sie hat aus der Küche Essen gestohlen.«
    »Warum das denn?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Ja, Amanda. Das tut es. Ich habe heute einen Jungen erwischt, der im Laden ein Paar Stiefel stehlen wollte. Er stellte sie wieder hin und zog sich selbst die Hosen herunter, um Prügel zu bekommen, aber sein Hintern war schon so voller Striemen, dass für weitere kein Platz mehr war. Ich gab ihm ein paar Kronen und ließ ihn laufen.«
    »Du warst immer schon ein sentimentaler Trottel.«
    »Was mich dazu bringt, meine Frage zu wiederholen, Amanda.
Warum willst du Lea wegschicken, ihr und Rakel das Leben so schwer machen? Wir haben schon lange keine so guten Dienstmädchen mehr gehabt.«
    »So hübsche, meinst du.«
    »Ich habe so gute gesagt.«
    »Glaubst du, ich weiß nicht, was du meinst?«
    »Warum soll Lea gehen?«
    »Weil sie Essen gestohlen hat. Sie hat es den alten Frauen im Heim gegeben und schreckliche Unruhe hervorgerufen. Solche Eigenmächtigkeit können wir nicht hinnehmen.«
    Ich stand hinter der Tür und lauschte, viel zu erregt, um mich zu schämen. In der Stille, die nun folgte, hörte ich nur Schritte. Dann wieder Carl Ottos Stimme.
    »Ich überlasse den Umgang mit den Dienstboten sonst dir. Du hast deine Prinzipien, und ich habe meine. Aber was Lea angeht, da sage ich dir eins. Sie bleibt hier. Und wenn du die Mädchen schlimmer schikanierst als unbedingt nötig, dann garantiere ich nicht für die Folgen. Du bist eine harte Frau, Amanda, und manchmal bist du geiziger, als gut für dich ist. Aber die Rechnungen bezahle immer noch ich.«
    Danach waren wieder Schritte zu hören. Jemand stieg die Treppe hoch. Als ich nach einer Weile die Tür öffnete, um mich nach den Wünschen der Gnädigen zu erkundigen, saß Amanda Otto da und starrte ins Leere. Ihr Gesicht lag im Halbdunkel, und sie bewegte sich nicht, als sie sagte, Lea könne gehen, wenn sie die Küche aufgeräumt habe. Lea war für dieses Mal gerettet.
    Aber es sollte nicht bei diesem einen Mal bleiben.

     
     
     
    Er war der Einzige, der den Krieg an einem Nachmittag hätte verlieren können.«
     
    Erster Lord der Admiralität und Premierminister Winston Churchill über Admiral John Jellicoe

Kapitel 9
1959
    Ich sitze im Aufenthaltsraum und denke an alles Mögliche, um nicht den Vortrag über Paris anhören zu müssen, mit dem irgendein tapferer Mensch versucht, uns die Zeit zu vertreiben. In meiner Welt rückten die Deutschen auf Paris vor, nachdem sie Belgien verwüstet und von der Zivilbevölkerung Schadensersatz verlangt haben. Ich sehe die Schiffe auf Minen laufen, sehe die Wrackteile und höre, wie Briten und Deutsche das Mitleid der Schweden reklamieren. Ich sehe Verwundete auf Bahren, die mit schwedischen Zügen zu russischen oder deutschen Müttern zurückgeschickt werden. Ich denke an meinen persönlichen Krieg, in dem es niemals einen Frieden gab. Den Krieg, der damit anfing, dass Lea Ruben Otto kennenlernte, den Sohn mit dem problematischen Schwanz und den wunderlichen Ideen. Und damit, dass ich Anton wiederbegegnete.
    Ich weiß noch, dass wir am Küchentisch saßen und Strümpfe stopften. Wir hatten Kaffee getrunken und von Geburten, Krankheiten und leeren Geldbeuteln gehört. Eine Nachbarin hatte den Anzug ihres Mannes vom Pfandleiher geholt. Ob es wohl das letzte Wochenende war, an dem sie ihn darin sah? Am Montag würde sie ihn erneut wegbringen müssen. Ihre Kinder hatten zwar von der Wohlfahrt Kleider bekommen, wurden in der Schule aber aufgezogen, weil die Hosen aus alten Frauenkleidern hergestellt waren.

    Sie wusste mittlerweile kaum noch, was sie auf den Tisch stellen sollte. Es gab hauptsächlich Blutbrot, das in Schmalz gebraten und in Magermilch gekocht wurde. Eine Schande und ein Skandal war es, dass immer wieder Speck ins Meer geworfen wurde und dass Kartoffeln in

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