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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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Unglück. Und jetzt würde ich es erfahren. Wenn Lea bei Ruben saß und über Politik redete, war nichts mehr unmöglich. Auch Lea sah das ein.
    »Alles ging gut, bis mein Vater seine Zulassung verlor«, begann sie. »Er war ein beliebter Arzt. Sehr umsichtig. Mutter war damals immer froh, und wir kamen zurecht, selbst wenn es Missernten gab und die Patienten kaum bezahlen konnten. Aber dann klopfte eines Abends dieses Dienstmädchen an die Tür. Ich kann mich so gut daran erinnern. Mein Vater öffnete, das Mädchen kam herein und stand weinend am Küchentisch. Sie erzählte, dass der Großbauer eines Abends gekommen war, als sie in der Scheune war. Er drängte sich ihr auf, sie konnte sich nicht wehren. Und jetzt konnte sie sich nicht mehr selbst belügen. Eltern hatte sie nicht, sie war auf einer Auktion verkauft worden. Sie wollte und konnte dieses Kind nicht auf die Welt bringen. Sie hatte versucht, schwere Lasten zu heben und zu tragen, und als nichts half, hatte sie einen Schürhaken genommen und da unten herumgebohrt. Nun wusste sie sich einfach keinen Rat mehr.
    Erst jetzt merkten wir, dass unter ihrem Rock Blut auf den Boden tropfte. Vater ging mit ihr in sein Sprechzimmer, aber ehe er mich wegschickte, konnte ich sehen, dass an ihren Beinen das Blut in dicken Strömen herunterlief. Ich musste in der Küche warten, während Vater sich um das Mädchen kümmerte. Sie schrie nicht, sie wimmerte nur leise, und einige Stunden später schlief sie im Bett ein. Am nächsten Tag ging sie, mit weißem Gesicht. Aber sie war so dankbar. Vater sagte kein Wort über diesen Vorfall, und wir stellten keine Fragen.

    Ungefähr einen Monat darauf stahl sich eine andere Frau aus dem Armenhaus mit gefalteten Händen zu uns herein. Auch ihr wurde geholfen. Es passierte wohl noch einige Male, bis der Pfarrer mich ansprach. Er hatte erfahren, was passiert war, frag mich nicht wie. Er machte mir klar, dass er etwas unternehmen müsse. Falls ich, als brave Tochter, ihn nicht zum Lehrer haben wollte. Der Bildung zuliebe.
    Also musste ich beim Pfarrer Unterricht nehmen. Es war schon vorgekommen, das der eine oder andere Mann mich begehrlich angestarrt hatte, aber niemand wagte sich an die Tochter des Doktors heran. Jetzt aber wusste die Obrigkeit Bescheid, und da ließ sich nichts machen. Ich war fünfzehn Jahre alt und musste zu ihm gehen, und er saß da mit der Bibel in der Hand und seinem Begehren im Sinn. Meinen Eltern erklärte dieser schlaue Fuchs, wie wichtig Bildung für mich sei. Kein Wort davon, dass er mir gedroht hatte, die ärztliche Laufbahn meines Vaters zu ruinieren. Ich lernte viel über Könige und Kriege, ganz zu schweigen von Religion und guten Büchern. Und Mathematik, dieses Wunder der Ziffern, die am Ende stimmen. Im Fach Biologie nahm er gern praktische Übungen vor, und ich erfuhr mehr, als mir lieb war. Ich konnte nur die Augen zukneifen und an meinen Vater und seine Arbeit denken. Der Pfarrer war klug genug, darauf zu achten, dass ich nicht auch auf Vaters Tisch landete.«
    Leas Hass ließ ihre Haut glühen. Ich hätte gern geweint, riss mich aber zusammen.
    »Es ging gut, solange dieser Mistkerl allein davon wusste. Aber eines Tages, als ich in den Laden ging und der Kaufmann mit mir ins Lager gehen wollte, um mir »Fleisch« zu zeigen, wusste ich, dass jetzt Schluss war. Also rannte ich weg und sagte meinen Eltern, dass ich fortwollte. Ich werde nie den Blick meines Vaters vergessen. Er hatte verstanden, aber was half das
schon. Als der Pfarrer von meinem Vorhaben erfuhr, war die Zeit meines Vaters als Arzt zu Ende, selbst wenn er nicht ins Gefängnis musste. Mutter entdeckte die Anzeige und schrieb die Bewerbung für mich. Leider hat sie offenbar mehr erwähnt als nötig. Das ist Mutters größte Schwäche, dieser Glaube an das Gute im Menschen. Sie hatte sicher gehofft, mir auf diese Weise die Stelle sichern zu können. Dass Amanda Otto alles in ihrem Sinne deutete, kann ja wohl niemanden überraschen. Überraschend ist nur, dass sie mich genommen hat, wenn wir bedenken, was sie für einen Mann hat. Vielleicht dachte sie, ich wäre leicht zu lenken und würde mir alles gefallen lassen.«
    Lea hustete. Ich sprang auf und klopfte ihr den Rücken. Dann griff ich zu dem Kamm, der auf dem Tisch lag. Die Haare hörten bald auf, sich zu widersetzen, und glitten mir durch die Finger. Ich flocht sie und dachte an die Erinnerung, die einfach nicht verblassen wollte.
    »Deshalb sage ich dir, Rakel, das mit der

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