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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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während Markus beschlossen hatte, auf dem Hof zu bleiben.
    Die Sonntage waren heilig. An diesem einen Tag, an den ich mich so gut erinnere, waren die Nachbarinnen soeben gegangen, nachdem sie ihr Herz ausgeschüttet hatten. Lea und ich wuschen unsere Kleider in der Zinkbütte und badeten danach in dem warmen Wasser. Wir schrubbten uns gegenseitig den Rücken und lachten. Die Wanzen in den Rissen in der Wand hatten wir mit heißem Seifenwasser traktiert. Das Zimmer roch so sauber, wie das überhaupt nur möglich war.
    Seit Amanda Otto über Leas »Unglück« geredet hatte, hatte ich mehr wissen wollen. Mit echtem Bohnenkaffee auf dem
Tisch fragte ich ganz offen, worum es gehe und was vorgefallen sei.
    Wir hatten recht bald bei den Mahlzeiten die restliche Familie Otto kennengelernt. Bei diesen Anlässen vergaß Amanda Otto ihren Kommentar über Leas Muttermal offenbar, denn wir mussten beide servieren. Der älteste Sohn, Fridolf, wirkte freundlich und zerstreut, während Tor, der Ingenieur, nicht richtig froh schien. Seine elegante Witwe Marianne war wirklich eine strahlende Erscheinung, und ihre Schuhe waren so schön, wie wir gehört hatten. Ob es stimmte, dass sie sich hinlegte, um sich diese Schuhe leisten zu können, war mir egal. Sie umarmte gern Angehörige aller Stände, so auch Lea und mich.
    Und Ruben. Ein Dichter und ein Träumer mit schöner Seele, ein christlicher Pazifist. Als ich ihn zum ersten Mal sah, nahm er meine Hand und machte fast eine Verbeugung, während seine Stirnlocke vorfiel und die Augen verdeckte, die seinen Wunsch verrieten, hier zu entkommen. Ich mochte ihn, aber Leas Interesse war stärker, und das zeigte sie auch. Seit ihrer ersten Begegnung krochen ihre Gedanken um ihn herum wie unsere verdammten Kakerlaken um das Essen. Sie gab sich alle Mühe, um möglichst oft in der Nähe seines Zimmers zu tun zu haben. Ruben erledigte die Buchführung für seinen Vater mit links und studierte mit rechts. Er las das Kommunistische Manifest und christliche Mystik und schien ganz neue Zusammenhänge zu entdecken.
    Dann war Lea in seinem Zimmer geblieben.
    »Will er dich verführen?«
    Sie lachte zurück. Ihre Haare hingen offen und feuchtblank über ihren Rücken.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Rakel«, sagte sie. »So ist er nicht. Glaub mir, er hat nicht einmal versucht, mich anzufassen. Ich habe in seinem Zimmer staubgewischt, und
da lag ein Buch aufgeschlagen. Es stammte von einer gewissen Ellen Key. Allein das ist doch fantastisch, dass das, was eine Frau schreibt, so ernstgenommen wird. Ich fing an zu lesen und vergaß darüber die Zeit. Sie schreibt über Kriegshetze und die Glorifizierung des Gemetzels. Die königstreuen Aktivisten solle man für den Rest des Krieges nach Spitzbergen schicken. Um dort Steinkohle zu fördern.
    Auf einmal kam Ruben herein. Ich war bereit, die Hände in die Seiten zu stemmen und mich zu verteidigen. Aber er setzte sich nur aufs Bett, bot mir den Stuhl an und fing an, über sie zu reden, über diese Ellen Key. Er nannte sie eine kluge Frau. Vor der Lektüre ihres Buches habe er keinen klaren Standpunkt zur Landesverteidigung gehabt. Die Bauern seien doch einige Jahre zuvor zum König gegangen, um ihm ihren Kampfeswillen zu beteuern. Daran erinnere ich mich. Auch aus unserem Dorf sind damals Leute nach Stockholm gegangen und haben im Grand Hotel gegessen und dem König die Hand gereicht. Dann sagte Ruben, die Arbeiter, die von Unterdrückung sprächen, lehnten die Armee ab, nicht aber den bewaffneten Kampf gegen den Kapitalismus. Sie schielten nach Russland und auf die dort geschmiedeten Waffen. Also gebe es Männer genug, die kämpfen wollten, trotz des entsetzlichen Anblickes der Verstümmelten am Invalidentag.
    Aber dann sagte er, ihn könne allein die Liebesbotschaft der Bibel überzeugen. Und ich, die ich nie viel für die Bibel übrig hatte, widersprach ihm nicht. Er gab mir das Buch von Ellen Key und sagte, ich sollte ihm in einigen Tagen sagen, was ich davon hielte.«
    »Und dann bist du wieder hingegangen?«
    »Ja. Um noch mehr Bücher zu holen. Um zu reden. Aus keinem anderen Grund. Ich wäre die Letzte, die auf irgendwelche Annäherungsversuche eingeht. Ich will mich mit keinem Mann
einlassen, wenn sich das irgendwie vermeiden lässt. Deshalb mag ich Ruben ja so. Er sieht die, die ich bin, und nicht meinen Körper. Er redet so anders als der Pfarrer zu Hause, und mir geht es um Worte. Um nichts anderes.«
    Sie hatte es erwähnt. Das

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