Der Geheime Orden
zurückkehren wollte. Sie trug einen langen Schwimmermantel.
»Wo hast du den denn her?«, fragte ich. Es war eines dieser knöchellangen Dinger mit Kapuze und Kunstfellfutter. Über den Rücken war mit samtenen Buchstaben das Wort »Harvard« gestickt, sodass man es meilenweit erkennen konnte. Es war einer der begehrtesten Sportartikel auf dem Campus.
»Meine Mitbewohnerin hat zwei davon, also lässt sie mich einen benutzen, wenn die Temperaturen fallen«, sagte Stromberger unbekümmert.
»Ist sie nicht mehr ganz bei Trost?«, sagte ich. »Der Mantel ist ein Vermögen wert.«
»Warum?« Stromberger zuckte mit den Schultern. »Es ist doch nur ein dummer Mantel. Das Futter ist nicht mal aus echtem Fell, und der Reißverschluss bleibt immer hängen.«
Das gefiel mir so an Stromberger: Sie hatte die geradezu unheimliche Fähigkeit, die Dinge unvoreingenommen zu betrachten und damit das, was wir anderen bis ins Absurde aufgeblasen hatten, auf ein normales Maß zurechtzustutzen.
»Du könntest ein paar hundert Dollar oder mehr für diesen Mantel bekommen«, sagte ich. »Jemand ist letztes Jahr in das Ausrüstungslager eingebrochen und hat zehn davon geklaut.«
»Jeder, der mehr als fünfzig Dollar für so ein Ding bezahlt, sollte mal seinen Kopf untersuchen lassen«, schnaufte Stromberger. Sie kämpfte sich zum Tresen durch, bestellte ihren Eisbecher und kehrte zu unseren Fensterplätzen zurück. »Hier ist der erste Artikel«, sagte sie und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrem Mantel. Es war eine Kopie aus dem Crimson und trug das Datum 18. September 1969.
Einbrecher stürzt beim Versuch, Gutenbergbibel aus der Widener-Bibliothek zu stehlen
Um ein Haar wäre es am 19. August einem waghalsigen Einbrecher gelungen, Harvards Gutenbergbibel aus der Widener-Bibliothek zu entwenden.
Er hatte das Alarmsystem der Bibliothek bereits überwunden und die Bibel aus ihrer Plexiglasvitrine entfernt, als er bei dem Versuch, sich aus einem Fenster der Bibliothek abzuseilen, gut zehn Meter in die Tiefe stürzte. Der Einbrecher, der am Morgen bewusstlos vor der Bibliothek aufgefunden wurde, konnte mittlerweile als der zwanzigjährige Vido K. Aras aus Dorchester identifiziert werden. Die beiden Bände der Bibel befanden sich in einem Rucksack, der neben ihm lag.
Aras befindet sich zurzeit im Cambridge City Hospital, wo er wegen mehrerer Schädelfrakturen behandelt wird. Er ist wegen Einbruchs und wegen des Besitzes von Einbruchswerkzeugen angeklagt worden. Bei einer polizeilichen Vernehmung sagte er angeblich, dass er »dafür bestimmt nicht alleine in den Knast« gehen werde.
Harvards Exemplar ist eine von 47 bekannten Ausgaben der Gutenbergbibel, die noch existieren. Das Buch wurde um 1455 von Johannes Gutenberg gedruckt, dem Erfinder der beweglichen Lettern. Der Versicherungswert der Bibel beläuft sich auf eine Million Dollar, doch in Wahrheit ist sie unbezahlbar. Der Einband, der nicht original ist, wurde bei dem Sturz beschädigt, doch die Seiten sind nach wie vor in gutem Zustand.
Die Polizei geht davon aus, dass der Verdächtige sich am 19. August bis nach Ende der Öffnungszeit in der Bibliothek versteckt hat, dann aufs Dach stieg und sich von dort mit einem Seil zum Fenster des Widener-Raums hinunterließ, wo die Bibel aufbewahrt wurde. Nachdem er dort eingebrochen war, das Buch aus seiner Vitrine entfernt hatte und versuchte, mit Hilfe des Seils aus dem Gebäude auszusteigen, stürzte er ab.
»Es sieht ganz nach professioneller Arbeit aus, besonders die Idee mit dem Seil«, sagte Robert Tonis, Chef der Universitätspolizei. »Aber dass er stürzte, wirkt weniger professionell.«
Die Familie von Harry Elkins Widener, der 1912 beim Untergang der Titanic ums Leben kam, hatte Harvard die Bibel 1944 gestiftet. Widener war ein Sammler wertvoller Bücher: Seine Familie hatte der Universität seine komplette Sammlung geschenkt und dazu einen Teil des Geldes, das für den Bau der Bibliothek benötigt wurde, die nunmehr seinen Namen trägt.
Es wird erwartet, dass der versuchte Diebstahl der Bibel die Arbeiten an den konzipierten neuen Sicherheitsmaßnahmen vorantreiben wird.
Der zweite Artikel stammte aus dem Boston Traveler und beschäftigte sich mit einer Bande von Bücherdieben aus New York, die reihenweise große Bibliotheken an der Ostküste heimsuchte, darunter auch die Widener-Bibliothek mit ihrer großen Sammlung seltener Werke. Einige der gestohlenen Bücher waren von aufmerksamen
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