Der Geheime Orden
wollen«, sagte sie.
Ich dachte einen Augenblick nach. Sie lag gar nicht so daneben. Ich hatte einen Freund, Jack Madison, der Software-Programmierer werden wollte, aber alle anderen hatten durch die Bank einen der Top-Berufe ins Auge gefasst. Man durfte vermuten, dass die meisten von uns schließlich in einem der »großen drei« Berufe landen und bei unserem zehnjährigen Abschlussjubiläum als Millionäre zurückkehren würden, was für Harvardabsolventen die Messlatte für beruflichen Erfolg war.
»Viele Leute sagen, dass sie Medizin, Jura oder Wirtschaft studieren wollen, aber das liegt wohl vor allem am Erwartungsdruck«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass jeder, der sich für einen dieser Berufe entscheidet, wirklich mit dem Herzen dahintersteht. Aber die meisten Harvardstudenten entscheiden sich sozusagen reflexartig für einen dieser Berufe.«
»Und das finde ich traurig«, sagte sie. »Kann es denn Freude machen, etwas zu tun, nur weil alle es von einem erwarten oder weil man damit irgendeinem ungeschriebenen Gesetz nachkommen will? Wozu soll ein Leben gut sein, wenn man es nicht für sich selber lebt?«
»Was möchtest du denn einmal machen?«, fragte ich.
»Versprochen, dass du mich nicht auslachst?«
»Versprochen.«
Sie klammerte sich fester an meinen Arm. »Eines Tages möchte ich Hochzeitsplanerin werden.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. »Hochzeitsplanerin?«
»Siehst du, ich wusste, dass du lachst!«
»Ich lache doch gar nicht. Ich wollte nur sicher gehen, dass ich richtig gehört habe.«
»Du hast richtig gehört. Ich möchte Menschen dabei helfen, einen der wichtigsten Tage ihres Lebens zu gestalten. Viele Hochzeiten werden von Leuten ruiniert, die entweder nicht wissen, was sie tun, oder keine Ahnung davon haben, wie man aus begrenzten Mitteln das Beste herausholt. Ich möchte den Leuten helfen, es richtig zu machen.«
Ich war ehrlich überrascht von ihrer Antwort, doch nachdem ich Stein und Bein geschworen hatte, kühl zu bleiben, durfte ich es mir auf keinen Fall anmerken lassen. Es war das erste Mal, dass sie sich mir gegenüber verletzlich gezeigt hatte, und ich entschied mich für eine neutrale Reaktion. »Und was hat dich dazu bewogen, dass du diesen Weg gehen willst?«, fragte ich.
»Ich habe Hochzeiten immer gemocht, schon seit ich ein kleines Mädchen war«, sagte sie. »Ich finde, sie können wunderschön und bedeutungsvoll sein. Denk mal darüber nach. Auf der Welt leben Milliarden Men schen, und doch finden in diesem Chaos des Lebens zwei zueinander und versprechen sich einander in Liebe und körperlicher Vereinigung. Es ist so romantisch!«
Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, wie man in so einem jungen Alter schon so viel übers Heiraten nachdenken konnte. »Warst du etwa schon mal verheiratet?«, fragte ich.
»Sei nicht albern, Spencer.« Sie schlug mir auf die Schulter. »Man muss doch nicht selber verheiratet sein, um die Schönheit einer Hochzeit würdigen zu können. Ich habe Prinzessin Dianas Hochzeit im Fernsehen gesehen und noch Wochen später geweint. Es war das perfekte Märchen.«
»Hast du deiner Mutter schon von deinen Karriereplänen erzählt?«; fragte ich.
»Bist du verrückt? Du kennst meine Mutter nicht. Wenn ich ihr das erzähle, schleift sie mich sofort zu einem Seelenklempner und lässt mich auf meinen Geisteszustand untersuchen. Meine Mutter hat ihr ganzes Leben damit verbracht, reichen Leuten hinterherzuputzen. Sie ist der festen Überzeugung, dass Frauen lukrativere Karrieren anstreben sollten. Wenn ich ihr erzählte, was ich vorhabe, würde es ihr das Herz brechen.«
»Aber früher oder später wirst du es ihr sagen müssen.«
»Dann eben später.«
Ich war in meinem ganzen Leben nur auf einer einzigen Hochzeit gewesen. Die beste Freundin meiner Mutter hatte im Cook County Courthouse geheiratet, und ich musste den karierten Anzug tragen, den ich von einem dicken Cousin geerbt hatte und der mir passte wie ein Kartoffelsack auf eine Straßenlaterne. Ich wusste ziemlich wenig über die Ehe, außer dass es bei meinen Eltern nicht besonders gut geklappt hatte, wie bei den meisten anderen Leuten. Die Ehe bereitete meiner Mutter eine Menge Kopfschmerzen und hinterließ eine Einsamkeit, dass sie spät abends im Bett in Tränen ausbrach. Als Kind habe ich ihr Schluchzen oft durch ihre Tür hören können. Danach saß ich in meinem eigenen Zimmer und weinte, weil sie so traurig war.
»Wie sammelt man Erfahrungen
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