Der Geheime Orden
nicht mal einräumen wollen, dass wir ganz offiziell miteinander ausgegangen sind.«
»Ach, ihr kleinen Jungs mit euren großen, sensiblen Egos«, sagte sie lächelnd. »Bilde dir bloß nicht ein, dass du plötzlich der Boss bist. Ich wollte dich schon seit dem Abend im Eliott House küssen.«
Dieses Mal packte sie mich, und schon als unsere Lippen sich berührten, war ich ihr verfallen.
Als ich an jenem Abend in mein Zimmer zurückkam, fand ich eine Nachricht von Stromberger an der Tür. Sie sei die ganze Nacht im Crimson und würde Artikel korrigieren, und ich solle sie anrufen, wann immer ich nach Hause käme. Ich sah nach, ob Percy in seinem Zimmer war, doch es war leer. Ich schaute auf seinen Schreibtisch und bemerkte, dass der Ring nicht mehr dalag, was wohl bedeutete, dass er sich auf dem Weg der Besserung befand.
Das Telefon klingelte ungefähr zehn Mal, bis Stromberger sich meldete.
»Du hast mir eine Nachricht hinterlassen, dass ich dich anrufen soll«, sagte ich.
»Ich stecke bis über beide Ohren in Redaktionsarbeit«, sagte sie. »Aber ich habe Neuigkeiten für dich. Ich habe vielleicht etwas über das Buch herausgefunden. Zumindest bin ich auf der richtigen Spur. In den Vierzigerjah ren hat die Gazette einen Artikel über eine Einbruchsse rie gebracht, von der auch die Sammlung seltener Bücher betroffen war. Es gibt auch einen alten Artikel im Crimson über einen Typen, der versucht hat, die Gutenbergbibel aus der Widener-Bibliothek zu klauen.«
»Hast du Kopien der Artikel dabei?«, fragte ich.
»Ja, ich hab sie mitgenommen für den Fall, dass du mich anrufst.«
»Möchtest du eine Pause machen und mich bei Elsie’s treffen?«
»Ich weiß nicht, ob ich jetzt hier weg kann. Ich habe noch Berge von Arbeit vor mir. Ich bin für einen der anderen Redakteure eingesprungen, der dieses Wochenende verreist ist. Ich schwöre dir, dieser Laden bringt mich entweder um oder in die Klapsmühle, bevor ich einen Abschluss habe.«
»Es wird nur eine halbe Stunde dauern«, sagte ich. »Außerdem hörst du dich an, als könntest du dringend eine Pause brauchen. Wir gönnen uns zwei große, matschige Eisbecher. Ich lad dich ein.«
»Tja, wenn ich so brutal genötigt werde, hab ich wohl keine Wahl«, sagte sie mit einem Lachen. »Ich bin in zehn Minuten da.«
Elsie’s Sandwich Shop war eine der gastronomischen Sehenswürdigkeiten von Cambridge, ein gemütlicher kleiner Laden, der seit über drei Jahrzehnten seine berühmten Roastbeefsandwiches mit russischer Mayonnaise servierte. Die Legende besagte, dass er von den deutschen Einwanderern Elsie und Harry Baumann aufgemacht worden war, einem mutigen jüdischen Ehepaar, das den Nazis um Haaresbreite entkommen konnte und mit vier Dollar in der Tasche, zwei kleinen Kindern auf den Armen und nicht einem einzigen Wort Englisch in ihrem Wortschatz nach Amerika kam. Später zogen sie von New York nach Boston und eröffneten nach ein paar Gelegenheitsjobs mitten auf dem Campus ihre gemütliche Sandwichbar, um den Harvardjungs ein nächtliches Sandwich und ein Stück Apfelkuchen zu verkaufen, bevor diese ins Bett gingen.
In den Sechzigerjahren wechselte der Laden den Besitzer, nachdem Elsie einen Herzinfarkt erlitten hatte und nicht mehr den ganzen Tag hinter der Ladentheke stehen konnte, doch der neue Eigentümer änderte nichts an der Speisekarte und behielt den schnellen Service und die günstigen Preise bei, die Elsie’s bei Generationen von Harvardstudenten so beliebt gemacht hatten. Ich ging oft dorthin und holte mir das Riesenroastbeefsandwich mit allem, von dem in der Regel genug übrig blieb, dass ich noch die nächsten zwei Tage davon essen konnte. Doch obwohl immer nur ihre Sandwiches und Burger mit Ruhm überschüttet wurden, machten ihre Süßspeisen nicht weniger süchtig, insbesondere der warme Apfelstrudel und die riesigen Eisbecher, in denen genug Eiskugeln untergebracht waren, um damit die halbe Universität zu versorgen.
Die kalte Nacht hatte die Fenster beschlagen lassen, und ich schnappte mir die letzten zwei freien Stühle, bevor ich mir einen Schokobecher mit allem Drum und Dran bestellte. Klaus Brinkerhoff, ein kleiner, kugelbäuchiger Mann, der gerne mal einen Schluck aus der Flasche nahm, die er unter dem Tresen versteckt hatte, unterhielt seine späten Gäste mit einer seiner vielen Geschichten aus seiner Zeit als Austauschstudent im Amazonasurwald. Stromberger kam hereinmarschiert, als ich gerade an meine Fensterplätze
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