Der geheime Tunnel: Erotischer Krimi (Gay Erotic Mystery) (German Edition)
gehofft. Überall lauern mir die Gläubiger auf, und ein paar Kröten von der alten Schachtel würden mir sehr helfen.«
Die kleinen Mädchen fingen an, auf und ab zu springen; die jüngste, die auf Frankies Schoß saß, landete dabei recht heftig, was ihn für einen Augenblick zum Schweigen brachte.
»Daddy!«, riefen sie, »Daddy! Daddy!«
Und da war er, Mr. Andrews, der seriöse, gepflegte junge Vater, und machte ein mürrisches Gesicht. Er schob die Kinder beiseite.
»Um Gottes willen, Christina, kannst du sie nicht besser im Zaum halten?«
Seine Frau sammelte die Mädchen um sich; sie wirkte so verwirrt wie verletzt. Worüber war er so aufgebracht? Ich dachte an sein rätselhaftes Treffen mit Rhys und ihre verdächtigen Geschäfte auf der Toilette. Auf mich wirkte er auf jeden Fall wie ein Mann mit schlechtem Gewissen. Ich stand auf und ließ ihn bei seiner Familie Platz nehmen, als gerade unser Mittagessen serviert wurde.
»Oh je«, jammerte der Kellner. »Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen allen anstellen soll. Das ist eine überaus unangenehme Situation.«
»Der Gentleman aus Amerika kann hier Platz nehmen, sofern er das wünscht«, sagte Lady Antonia und wies mit ihrer behandschuhten Hand auf einen Sitz neben Miss Chivers. »Ich erhebe keinerlei Einwand dagegen.«
»Vielen Dank, Madam.«
»Ich gehe davon aus, dass er weder mit offenem Mund isst noch seine Suppe schlürft.«
»Nein, Madam«, sagte ich. Meine republikanische Selbstachtung sträubte sich bei diesem überaus unhöflichen Ausdruck europäischer Vorurteile. »Er klettert auch nicht auf Bäume, noch isst er mit den Händen.« Ich setzte mich neben Chivers, die ein kaum hörbares »Oh je!« von sich gab, und starrte aus dem Fenster auf die feuchte Ziegelmauer.
Nun, ich hatte nicht vor, mir von dieser alten Xanthippe das Mittagessen verderben zu lassen – ich war hungrig, und wenn ich Hunger habe, lasse ich nichts zwischen mich und mein Essen kommen. Der Kellner trug den Fisch auf, und er roch köstlich; wie es ihnen überhaupt gelungen war, unter so widrigen Umständen zu kochen, überstieg mein Fassungsvermögen. Aber da lag es vor mir, ein zartes, saftiges Seezungenfilet, duftend und heiß, mit einem Stück Zitrone, dunklem Brot und Butter, und es wartete nur darauf, verzehrt zu werden. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich das erste Stück mit der Gabel aufspießte und zu meinem Mund führte …
Und dann ruckte der Zug auf einmal heftig vorwärts – das Stück Fisch flog mir von der Gabel und auf die Brust der Lady Antonia, wo es sich in ihrer Perlenkette verfing. Die vollen Gläser flogen in sämtliche Richtungen, der Kellner stolperte und ließ ein weiteres Fischgericht auf Mr. Andrews’ Kopf fallen, und die kleinen Mädchen stimmten ein ohrenbetäubendes Geheul an.
»Was zur Hölle!«, schrie ich und fing mich rasch wieder.
Die Bewegung brach ab und fing wieder an, so, als würden wir von hinten angestoßen werden. Mir drehte sich fast der Magen um. Und dann, als ich gerade befürchtete, ein anderer Zug wäre auf uns aufgefahren, gab sich der Motor einen Ruck, und wir setzten uns in Bewegung. Wir ließen den Tunnel hinter uns und fuhren ins Tageslicht hinaus. Trotz des Ruckelns waren wir alle überaus erleichtert, wieder unter freiem Himmel zu sein. Es schneite immer noch, der Boden war gut zwei Zentimeter bedeckt und leuchtete selbst im schwachen Licht eines Wintertages.
»Endlich!«, sagte Frankie. »Wir sind wieder unterwegs. Vielleicht kommen wir heute ja doch noch in London an.«
»Wäre jemand so freundlich, mich aufzuklären?«, fragte Lady Antonia, als wäre all das eine Verschwörung gegen sie persönlich. »Das ist ja wohl eine Unverschämtheit.« Sie merkte gar nicht, dass an ihrer Perlenkette ein großes Stück Seezunge baumelte. Chivers hingegen schien davon regelrecht gebannt zu sein.
»Sitz nicht da und halte Maulaffen feil, Mädchen, geh und sieh nach unseren Koffern. Ich wäre nicht gerade überrascht, wenn alles in tausend Stücke zerbrochen ist und meine persönlichen Habseligkeiten von den Flegeln aus der dritten Klasse durchwühlt werden.«
Chivers eilte davon und hielt sich dabei an den Sitzrändern fest; sie hatte Angst zu fallen, sollte der Zug wieder ins Schlingern kommen.
Der junge Mr. Andrews zupfte sich Fischstückchen aus dem Haar und wischte sich den Fischsaft aus dem Nacken; er würde gleich nach der Ankunft in London ein Bad brauchen und in der Zwischenzeit ziemlich unangenehm
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