Der geheime Tunnel: Erotischer Krimi (Gay Erotic Mystery) (German Edition)
auf den Arm, ein kicherndes, rosa-weißes Bündel mit langen Goldlöckchen. Die Haarfarbe hatte sie von ihrem Vater geerbt – der übrigens durch Abwesenheit glänzte. Ich erinnerte mich an sein Stelldichein mit David Rhys, dem Diamantenhändler. Irgendetwas Rätselhaftes ging da vor sich, da war ich mir sicher.
Bertrand und ich nahmen Platz und bestellten einen Aperitif. Frankies gute Laune rettete uns den Tag; er machte aus dem Ärgernis, in einem Tunnel festzustecken, einen Anlass zum Feiern. Er bestellte Martinis und ganze Weinflaschen. Die Augen von Mrs. Andrews funkelten, und diese Laune schien sich auf die anderen Gäste im Speisewagen zu übertragen. Selbst die gefürchtete Witwe schien ein wenig aufzutauen und neigte das Haupt, als Frankie ihr zuprostete.
»Grässlicher alter Drachen«, murmelte er, »aber ich muss nett zu ihr sein. Sie ist regelmäßig bei meiner Großmutter zu Gast, in die ich, sagen wir, große Erwartungen setze.« Nun sprach er laut: »Hallo, Lady Antonia. Wie geht es Ihnen?«
»Sobald wir in der Stadt sind, werde ich Sir Ronald anrufen, den ich kenne, seit er ein kleiner Junge war, und eine Erklärung fordern. Ich bin an solche Unannehmlichkeiten nicht gewöhnt, und wenn Menschen wie ich nicht ihren Einfluss geltend machen, um die Flut des Sozialismus abzuwenden, dann können wir auch gleich anfangen, Befehle aus Moskau zu empfangen. Chivers! Halten Sie das fest! Genau das werde ich Sir Ronald persönlich sagen. ›Befehle aus Moskau zu empfangen‹, Mädchen! Na los! Was ist denn los mit Ihnen?«
Chivers kämpfte mit einem Notizbuch und einem Stift. Ihre Wangen waren rosig vom Alkohol, ihre Stirn tief in Falten gelegt.
»Oh je, der arme Ronnie, worum der sich nicht alles kümmern soll«, sagte Frankie, der nicht nur mit der Witwe und dem Präsidenten der Eisenbahngesellschaft auf vertrautem Fuße zu stehen schien, sondern auch mit einem Großteil der europäischen Adelshäuser, wenn man seinem Geplauder Glauben schenken konnte. »Nach der Geschichte mit Papa und der argentinischen Revuetänzerin letztes Jahr war er so nett zu Mama.«
»Nun!« Die Witwe sah gleichzeitig schockiert und neugierig aus. »Dann war das also die Wahrheit.«
»Absolut, meine liebe Lady Antonia. Jedes Wort davon.«
»Wie schockierend.«
»Ja, aber Sie kennen doch Papa. Er war schon immer so.«
»Oh ja, wie wahr. Ihr Herr Vater war immer ein Taugenichts.«
»Und der liebe Ronnie … Nun, natürlich war er schon immer nett zu Mama, hätte sie auch gern geheiratet – ein schönes Paar wären sie gewesen.«
»So spricht man doch nicht von den Eltern, junger Mann«, ermahnte ihn Lady Antonia – und doch funkelte es in ihren Augen.
»Ich halte meinen Vater selbstverständlich in den höchsten Ehren – nun, zumindest gilt das für seine Geldbörse.«
»Ihr Vater kommt aus einer sehr guten Familie. Er ist entfernt mit dem Haus Stuart verwandt.«
»Was er nie müde wird, mir zu erzählen.«
»Daher hat er womöglich legitimen Anspruch auf den englischen Thron, sollte der je vakant sein.«
»Was Sie nicht sagen!« Frankie kicherte. »Man stelle sich nur vor, ich könnte Kronprinzessin werden!«
»Also wirklich!«
Lady Antonia verzog das Gesicht und nahm einen großen Schluck Martini, wobei sie beinahe die Spitze ihrer Adlernase ins Glas tauchte. Frankie verdrehte die Augen und wandte sich wieder uns zu.
»Wissen Sie, die alte Antonia ist eigentlich gar nicht so schlimm, wie es den Anschein hat. Sie sieht aus wie ein alter Drachen, aber unter der rauen Schale ist sie ein liebes kleines Miezekätzchen. Nicht wahr, meine Liebe?«
»Was bin ich?«
»Ein liebes kleines Miezekätzchen.«
»Also wirklich!«, fuhr Lady Antonia auf; Chivers zuckte zusammen, als erwarte sie eine Tracht Prügel. »Sie sind der ungezogenste junge Mann, der mir je begegnet ist. Wie Ihre arme Frau Mama mit Ihnen fertig wird, werde ich nie verstehen.« Doch auf ihrem wächsernen Gesicht war ein Anflug von Farbe zu sehen, und so etwas wie ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
Frankie senkte die Stimme und flüsterte mir ins Ohr: »Sie ist natürlich völlig übergeschnappt und vertritt ziemlich bestürzende politische Ansichten. Sie ist ins Fahrwasser einer Gruppe geraten, die sich die Britischen Faschisten nennen. Ein ganz alberner Haufen Schwachsinniger, mein Lieber; die hassen einfach alle, die Kanaken und die Juden und die Schwuchteln und die Bolschewisten. Dennoch hatte ich auf etwas finanzielle Unterstützung von ihr
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