Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
Feuerschein wirft einen goldenen Schi m mer auf ihr weißblondes Haar. Sie leuchtet wie ein gefallener Engel.
Ann blickt sich nervös um. »D-d-du solltest nicht so über« –sie flüstert das Wort –» Gott sprechen.«
»Warum denn nicht?« , fragt Felicity.
»Es könnte Unheil bringen.«
Wir versinken in Schweigen. Das Unheil , das vor Ku r zem über uns hereingebrochen ist , sitzt noch zu tief , als dass wir vergessen könnten , dass hinter der sichtbaren Welt Kräfte am Werk sind , die wir mit dem Verstand nicht erfassen können.
Felicity starrt ins Feuer. »Du glaubst immer noch , dass es einen Gott gibt , Ann? Nach allem , was wir erlebt h a ben?«
Eines der lautlosen Zimmermädchen huscht wie ein Scha t ten den düsteren Flur entlang. Nur die weiße Schürze , die sich vom Grau ihrer Uniform abhebt , ist in der Dunkelheit zu s e hen. Wenn ich ihrer Bewegung folge und um diese Ecke dort biege , kann ich den festlichen , vom Kaminfeuer erhellten Saal sehen , aus dem wir s o eben kommen. Eine Schar Mädchen unterschiedlichen Alters , von sechs bis siebzehn , fängt unau f gefordert an , Weihnachtslieder zu singen. Kommet , ihr Hi r ten , ihr Männer und Frau ’ n …
Ich sehne mich danach , mit ihnen zu singen , die Ke r zen auf dem prächtigen Baum anzuzünden , an der Schnur der bunten Knallbonbons zu ziehen und zu h ö ren , wie das Papier mit einem lustigen Plop aufplatzt. Ich sehne mich danach , keine anderen Sorgen zu haben als die , ob der Weihnachtsmann dieses Jahr freundlich sein wird oder ob ich in meinem Strumpf ein Stück Kohle finden werde.
Arm in Arm wie Ausschneidepuppen aus demselben P a pierbogen wiegen sich drei Mädchen im Takt. Eine legt ihren Lockenkopf auf die Schulter des Mädchens neben sich und diese wiederum drückt der dritten einen kleinen Kuss auf die Stirn. Sie haben keine Ahnung , dass diese Welt nicht die ei n zige ist. Dass es weit hinter den mäc h tigen , schlossähnlichen Mauern des Internats , weit hinter dem Festungswall in Gestalt von Mrs Nightwing , Mad e moiselle LeFarge und den anderen Lehrkräften , die unser Äußeres , unser Benehmen und unseren Charakter kneten und formen wie willigen Lehm –dass es hinter allen Ländern und Meeren einen Ort von unbeschreibl i cher Schönheit und furchtbarer Macht gibt. Einen Ort , wo Träume wahr werden und man aufpassen muss , was man träumt. Einen Ort , wo schreckliche Dinge lauern. Einen Ort , der schon eine von uns gefordert hat.
Ich bin das Bindeglied zu jenem Ort.
»Holen wir unsere Mäntel« , sagt Ann und geht auf die i m posante , gewundene Doppeltreppe zu , die die Ei n gangshalle beherrscht.
Felicity schaut sie neugierig an. »Wozu denn? Wohin g e hen wir?«
»Heute ist Mittwoch« , sagt Ann , sich abwendend. »Zeit , Pippa zu besuchen.«
2. Kapitel
W ir gehen durch die kahlen Bäume des Waldes , der sich hinter der Schule erstreckt. Unser Weg führt uns zu einer wohlb e kannten Lichtung. Die Luft ist klamm und ich bin froh , meinen Mantel und die Handschuhe mitg e nommen zu haben. Rechts von uns liegt der Weiher , wo wir in den fr ü hen Septembertagen faul in einem Rude r boot gelegen und in den Himmel geschaut haben. Jetzt schläft das Ruderboot auf den frostigen Felsen und dem ra u en , toten Wintergras am Rand des Wassers. Der Weiher hat eine glatte , dünne Ei s schicht. Monate zuvor teilten wir diesen Wald mit e i ner Gruppe von Zigeunern , aber die haben längst ihr Lager a b gebrochen und sind in wärmere Gegenden gezogen. In ihrer Gesellschaft ist vermutlich ein gewi s ser junger Mann aus Bombay mit großen braunen Augen , vo l len Lippen und dem Kricketschläger meines Vaters. Kartik. Ich kann nicht u m hin , mich zu fragen , ob er an mich denkt , wo immer er ist. Ich kann nicht umhin , mich zu fragen , wann er das nächste Mal kommen und nach mir sehen wird und was das bede u ten wird.
Felicity dreht sich zu mir um. »Wovon träumst du dahi n ten?«
»Von Weihnachten« , lüge ich , mit jedem Wort eine kleine weiße Dampfwolke ausstoßend. Es ist bitterkalt.
»Ich hab vergessen , dass du nie richtige englische Wei h nachten erlebt hast. Das werden wir in den Ferien jetzt grün d lich nachholen. Wir stehlen uns von zu Hause fort und am ü sieren uns ganz prächtig« , sagt Felicity.
Ann hebt ihren Blick nicht vom Boden. Sie wird über Weihnachten in Spence bleiben. Es gibt keine Verwan d ten , die sie aufnehmen werden , nichts , worauf sie sich freuen kann , kein Geraschel von
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