Der Geheimnisvolle Eremit
war, bekam er es mit der Angst. Er ging langsam und nachdenklich davon, schlurfte mit den nackten Füßen durch das kühle Gras, streifte dann geräuschvoll mit den festen Fußsohlen über die Kiesel im Hof und meldete sich pflichtschuldigst im kleinen, düsteren Sprechzimmer, wo Besucher von der Außenwelt gelegentlich mit ihren im Kloster lebenden Söhnen ungestört sprechen durften.
Bruder Paul stand mit dem Rücken zum einzigen Fenster, und so war der kleine Raum noch dunkler als sonst.
Der glatt geschnittene, kurze Haarkranz um den polierten Schädel war trotz seiner fünfzig Jahre noch schwarz und üppig, und er stand und saß stets etwas vorgebeugt, da er so viele Jahre mit nur halb so großen Geschöpfen zu tun gehabt hatte, die er eher beruhigen und trösten als durch Statur und Haltung einschüchtern wollte. Er war ein freundlicher, belesener und nachsichtiger Mann, aber trotzdem ein guter Lehrer, der seine Schutzbefohlenen in Zucht hielt, ohne sie in Angst und Schrecken versetzen zu müssen. Der älteste verbliebene Oblat, den man mit fünf Jahren Gott überantwortet hatte und der jetzt mit fünfzehn seinem Noviziat entgegensah, konnte schreckliche Geschichten über Bruder Pauls Vorgänger erzählen, der mit der Rute regiert und einen Blick besessen hatte, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Richard machte eine kleine, höfliche Ehrenbezeugung und baute sich gelassen vor seinem Lehrer auf. Er blinzelte mit undurchdringlichem Gesicht, in dem zwei blaugrüne Augen in strahlender Unschuld glänzten, gegen das Fensterlicht. Ein lebhaftes Kind, klein für seine Jahre, doch beweglich und flink wie eine Katze, mit einem dicken Lockenschopf aus hellbraunem Haar und einer Spur goldener Sommersprossen auf den Wangen und dem Rücken seiner schönen, geraden Nase. Er stand mit auseinandergestellten Füßen selbstsicher im Raum, die Zehen etwas gegen die Dielenbretter gekrümmt, und starrte gehorsam und arglos in Bruder Pauls Gesicht hinauf. Paul war diese Unschuldsmiene gut bekannt.
»Richard«, sagte er sanft, »komm, setz dich zu mir, ich muß dir etwas sagen.«
Dies hätte an sich schon gereicht, um eine leichte kindliche Unsicherheit durch eine tiefere, ernstere zu ersetzen, denn Pauls Tonfall war so einfühlsam und vorsichtig, daß die Notwendigkeit für weiteren Trost bereits angekündigt wurde.
Doch in Richards plötzlich verdüstertem Gesicht war nichts weiter zu lesen als Verwirrung. Widerstandslos ließ er sich zur Bank ziehen und setzte sich; die nackten Zehen baumelten ein Stückchen über dem Boden, und Bruder Paul legte den Arm um ihn. Er war auf Schelte gefaßt gewesen, doch nun kam etwas, auf das er nicht vorbereitet war, und er wußte nicht, was tun.
»Du weißt doch, daß dein Vater bei Lincoln für den König gekämpft hat und verwundet wurde? Und daß er seitdem bei schlechter Gesundheit war?« Der robuste und behütete Junge wußte kaum, was eine schlechte Gesundheit war, außer daß so etwas nur alten Menschen geschah. Doch er sagte: »Ja, Bruder Paul!« mit kleiner, fügsamer Stimme, da es von ihm erwartet wurde.
»Deine Großmutter hat heute morgen einen Knecht zum Sheriff geschickt. Er hat eine traurige Nachricht überbracht, Richard. Dein Vater hat seine letzte Beichte abgelegt und die Sakramente empfangen. Er ist tot, mein Kind. Du bist sein Erbe, und du mußt dich als würdiger Nachfolger erweisen. Im Leben wie im Tod«, schloß Bruder Paul, »sind wir alle in der Hand Gottes.«
Der Ausdruck nachdenklicher Verwirrung hatte sich nicht verändert. Richards Zehen kratzten ein wenig über den Boden, und seine Hände packten die Kante der Bank, auf der er hockte.
»Mein Vater ist tot?« wiederholte er vorsichtig.
»Ja, Richard. Früher oder später trifft es jeden von uns. Jeder Sohn muß eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und dessen Pflichten übernehmen.«
»Dann bin ich jetzt der Herr von Eaton?«
Bruder Paul beging nicht den Fehler, die Frage als Ausdruck des Triumphes über einen persönlichen Gewinn zu verstehen.
Vielmehr verriet sie kluge Einsicht in das Gehörte. Der Erbe mußte die Bürde auf sich nehmen, die der Vorfahr angelegt hatte.
»Ja, das bist du, oder du wirst es sein, sobald du das rechte Alter erreicht hast. Du mußt lernen, um weise zu werden, auf daß du deine Ländereien gut führst und dich um deine Leute zu deren Wohlergehen kümmerst. Das hätte dein Vater von dir erwartet.«
Richard, der immer noch überlegte, welche
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