Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
gewissen Erleichterung drückte sie Alan ihren Zweitschlüssel in die Hand und verabredete sich mit ihm um sechs im Bellissimo an der Ecke. Ein neutraler Ort schien ihr fürs Erste am sichersten.
Natascha saß schon beim zweiten Glas Pinot Grigio, als Alan in der Tür erschien. Er hatte sie gleich entdeckt, steuerte auf ihren Tisch zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Während er sich aus seinem Uraltmodell von Jacke schälte, überkam Natascha ungewollt ein warmes Gefühl. Dieser Mann wirkte hier so deplaziert und unbeholfen, dass sich unwillkürlich ihr Beschützerinstinkt regte. Alan rieb sich die Hände und setzte sich.
»Ist der Frühling hier immer so kalt?«, fragte er, und Natascha lächelte ihn zum ersten Mal an, seit er hier war.
»Nein, aber wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich selbstverständlich schon mal die Sonne angeschaltet. In der Zwischenzeit müssen wir eben von deiner australischen Hitze zehren.« Alan hob eine Augenbraue, und Natascha befürchtete schon, dass sie mit dieser Bemerkung ein wenig zu weit gegangen war. Gleichzeitig fragte sie sich, ob sie etwas dagegen hätte, wenn er sie tatsächlich wärmen wollte.
Ein wenig über sich selbst erschrocken, nippte sie an ihrem Wein und wartete, bis Alan sich für eine Pizza entschieden hatte. Der Kellner nahm die Bestellung auf und ging zur Küche. Natascha strich sich verlegen das Haar hinters Ohr. Diesen Moment hatte sie schon den ganzen Tag über gefürchtet, andererseits auch herbeigesehnt. Alan legte wie selbstverständlich seine Hand auf die ihre und schaute ihr eindringlich in die Augen, als der Kellner den Rotwein servierte. Natascha senkte den Blick. Die Sekunden, bis der Kellner sich entfernte, schienen eine Ewigkeit zu dauern. Weder wagte sie, ihre Hand zurückzuziehen, noch, zu Alan aufzuschauen, und es war ihr unangenehm, wie ihre Finger unter seinem Druck leicht zu beben begannen. Als wollte er ihr diese Qual nicht länger zumuten, zog er seine Hand abrupt zurück. Er griff in die Innentasche seiner Steinzeitjacke und zog einen Umschlag heraus, den er vor ihr auf den Tisch legte.
»Für dich.«
Zögernd nahm Natascha den Brief entgegen und warf Alan einen fragenden Blick zu. Er trank einen Schluck von seinem Barolo, doch als sie den Umschlag öffnen wollte, hinderte er sie daran und drückte ihr stattdessen ein kleines Schmuckkästchen aus blauem Plastik in die Hand.
»Mach das hier zuerst auf.«
»Ist das von dir?« Alan schüttelte den Kopf.
»Mach es einfach auf.«
Natascha öffnete das Kästchen und sah auf ein Paar goldener Ohrringe, in deren Anhänger jeweils am unteren Ende ein weißer Stein eingefasst war.
»Helenes Ohrring! Wo hast du den denn her?« Sie schaute ihn mit hochroten Wangen an, doch noch bevor er ihre Frage beantworten konnte, bemerkte sie die eigentliche Überraschung.
»O mein Gott, das sind ja zwei! Wo kommt denn der andere her?« Alan lächelte nur und forderte sie mit einer Geste auf, den Schmuck näher zu betrachten. Mit ungläubigem Blick griff Natascha in die Schachtel und befreite die Ohrringe von ihrem Schaumstoffkissen. Dann hielt sie die Schmuckstücke hoch und drehte sie langsam im Licht. Die weißen Steine glitzerten. Sie legte einen Ohrring aus der Hand, die Strebe des anderen hielt sie sich dicht vors Gesicht.
»Liebe ist stark wie der Tod«, las sie laut. Ihre Hand griff erneut nach dem Pendant, und Natascha entzifferte mit zusammengekniffenen Augen auch dessen Gravur. »Ihr Eifer ist fest wie die Hölle.« Sie behielt die Schmuckstücke in der Hand und dachte nach. Nach einer Weile legte sie das Paar vor sich auf den Tisch und sah Alan inquisitorisch an.
»Wo kommt denn der andere Ohrring her? In Helenes Kiste war nur dieser hier.«
»Lies den Brief«, entgegnete Alan ruhig. Natascha war mehr als gespannt zu erfahren, welche Rolle Alan wohl in diesem Rätselspiel einnahm, doch ihre Neugierde gewann in diesem Moment die Oberhand, und so öffnete sie den Umschlag, dem sie zwei beidseitig eng beschriebene Briefbögen entnahm. Ungeduldig entfaltete sie die Seiten und strich sie glatt. Die Zeilen waren handgeschrieben, und sie erkannte auf den ersten Blick, dass es nicht Alans Schrift war. Es war die von Debra.
Liebe Natascha,
Sie glauben gar nicht, wie gerne ich jetzt bei Ihnen in Berlin wäre, aber weil es nun mal nicht möglich ist, will ich gar nicht erst anfangen herumzujammern. Obwohl – ich würde schon einiges darum geben, just in diesem Moment Ihr
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