Der geheimnisvolle Gentleman
genoss,
dem Spiel widersprüchlicher Emotionen auf ihrem Gesicht zuzusehen. Offenbar gab es nur einen Bereich, in dem es Lady Olivia nicht leichtfiel, ihm Kontra zu geben.
»Ich bestehe nicht darauf, unsere Ehe in dieser Nacht zu vollziehen«, sagte er leichthin. »Jedoch hoffe ich, dass Ihr es bald in Betracht ziehen werdet, meine Aufmerksamkeiten entgegenzunehmen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute beiseite. »Würdet Ihr sagen, dass Eure … Aufmerksamkeiten sich im Rahmen des Üblichen bewegen?« Sie warf ihm einen unerwartet scharfen Blick zu. »Ihr müsst wissen, ich habe von solchen Dingen gehört.«
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie war einfach anbetungswürdig. Er verbannte jegliches Gefühl aus seinem Blick. »Entschuldigt, aber könntet Ihr Eure Frage präzisieren?«
Sie öffnete tatsächlich den Mund, um ihm zu antworten, jedoch irgendetwas in seinem Mienenspiel musste ihn verraten haben. Ihre Augen verengten sich. »Das ist nicht witzig. Ihr wisst, was ich meine.«
Verdammt. Na gut. Wieder breitete er entschuldigend die Arme aus. »Ja. Es tut mir leid. Und ich kann Euch versichern, Mylady, dass meine … äh, meine Aufmerksamkeiten vollkommen der Norm entsprechen.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber jetzt war der falsche Augenblick, dieses Thema anzuschneiden. Außerdem war es nicht das, was sie wissen wollte.
Sie atmete auf und lächelte ihn freundlich an. »Gut. Wollt Ihr Euch nicht setzen? Wir könnten uns eine Weile unterhalten.« Sie führte ihn zu dem Armlehnstuhl beim Kamin.
Solange seine Braut nichts anderes trug als dieses hauchdünne Nachthemd, bei dem die oberen Bänder sich nach und nach lösten, konnte Dane ihr stundenlang glücklich und zufrieden gegenübersitzen und Konversation betreiben. Sie war sehr viel reizvoller, als er zunächst angenommen hatte, aber
wenn er sich richtig erinnerte, dann waren ihm diese wunderbaren Brüste von Anfang an aufgefallen.
Er zog den Stuhl ihrer Frisierkommode näher an den Kamin, war ihr beim Hinsetzen behilflich und ließ sich selbst in dem Armlehnstuhl nieder. Das war nicht höflich, dafür jedoch praktisch. In seinem Leben war schon mehr als ein Stuhl unter ihm zusammengebrochen. Er hatte ein Auge dafür entwickelt zu erkennen, was sein Gewicht aushielt. Er lehnte sich vor, stützte die Ellenbogen auf seine Knie und schaute seine Braut bewundernd an. Das waren wirklich die erstaunlichsten …
»Meine Augen befinden sich etwas weiter oben, Mylord.«
Ihr Ton war trocken und ihr Gesichtsausdruck versteinert, wie er bemerkte, als er den Blick von ihrem Busen hob. Ah, schon wieder hatte sie ihn ertappt. Er lächelte verschmitzt. »Ich bedaure zutiefst, Mylady. Ich versichere Euch, dass ich nur Bewunderung im Sinne habe.«
Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich weiß nicht recht, ob ich Euch danken oder lieber schlagen soll. Ich nehme an, Eure Stellung als mein Ehemann erlässt Euch gewisse Formen der Anständigkeit …«
Er nickte zustimmend. »O ja.«
Gedankenverloren spielte sie mit dem obersten Band an ihrem Ausschnitt. Der Knoten löste sich und offenbarte Dane einen noch tieferen Blick auf Olivias üppiges Dekolletee. Das Blut in seinen Lenden pulsierte bei diesem Anblick, und er rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Konversation zu betreiben würde doch schwieriger werden, als er ursprünglich gedacht hatte.
»Ich weiß kaum etwas über Euch, Mylord«, sagte sie gerade. »Zum Beispiel, ob Ihr Familie habt, die ich kennen lernen werde. Mir ist aufgefallen, dass heute Morgen bei der Zeremonie niemand zugegen war.«
Familie. Das Wort brauchte lange, bis es den Weg in sein Bewusstsein gefunden hatte. »Nein. Nein, ich habe keine nahen
Angehörigen mehr. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleiner Junge war, und mein Vater …«
Was tat er da? Er sprach mit niemandem über Henry Calwell!
Sie schaute ihn aufmunternd an. »Euer Vater?«
Dane zwang sich zu einem lässigen Schulterzucken. »Vor zwei Jahren von uns gegangen. Ein Unfall.« Er sollte vielleicht etwas genauer darauf eingehen, nicht dass ihr eine völlig andere Geschichte zu Ohren kam, obgleich er sein Möglichstes getan hatte, die Gerüchte im Zaum zu halten. »Als er seine Waffe reinigte.«
Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf seine. »Es ist hart, nicht wahr? Selbstverständlich liebe ich meine Eltern, aber als mein Bruder Walter letzten Monat ertrank …« Sie hielt inne und schluckte schwer. »Ich denke, Walter war
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