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Der Geist des großen Büffel

Der Geist des großen Büffel

Titel: Der Geist des großen Büffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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Medizinmann. „Was sehen deine unbestechlichen
Augen?“
    „ Uffuff — Häuptling Kleiner Stier!“
    Die
Indianer sprangen auf, jeder wollte das Bild sehen, jeder rief: „Das ist das
Antlitz des Häuptlings!“ Ich brauchte es nicht einmal vor Beschädigungen zu
schützen, denn sie hatten eine heilige Scheu davor, es anzufassen.
    Dann
hielt ich es dem Häuptling vor die Nase. Erstaunt riß er die Augen auf. „Nun?“
fragte ich.
    „Es
ist mein Gesicht“, gab er widerwillig zu. „Aber es hat keine Schnitte.“
    Da
zog ich ihm das Messer aus dem Gürtel und schlitzte das Bild über Kreuz auf.

    Der
Häuptling erbleichte. Er schrie. Er verbarg seine Augen unter seinen Händen.
    „Nun,
habe ich dein Gesicht zerstört, ohne daß du Schmerzen empfunden hast?“
    Zu
meinem Erstaunen warf er sich zu Boden und stöhnte. Immer noch verhüllte er
seinen Kopf. Verblüfft wandte ich mich an den Medizinmann. „Warum benimmt sich
euer Häuptling wie ein Kind, das die Mutter verloren hat?“
    Er
war wirklich mehr als trostlos, er wälzte sich auf dem Boden und auf seiner
Stirn glänzten Schweißtropfen.
    Der
Medizinmann zitterte selbst erbärmlich. „Trübsinn wird unseren Häuptling auf
sein Lager werfen“, jammerte er. „Ohne Gesicht kann er niemals in die ewigen
Jagdgründe einziehen. Der weiße Mann hat es ihm genommen, der große Manitou wird ihn nicht erkennen. Alle seine tapferen Taten
waren vergeblich. Nun ist er ein gesichtsloser Niemand.“
    „Dann
will ich meinem roten Bruder sein Gesicht wiedergeben“, rief ich und lächelte.
Ich zerfetzte die Reste der Fotografie und ließ die Schnipsel in meiner Tasche
verschwinden. Ich holte den zweiten Abzug aus dem Dunkelkammerzelt — selten
habe ich eine so vollständige Verwandlung erlebt.
    Der
Häuptling hatte kaum einen Blick darauf geworfen, da strahlte er auch schon
über das ganze Gesicht, er riß mir sein Bild aus der Hand, damit es niemand
mehr beschädige, und rannte mit ihm in sein Zelt, wo er es zwischen Tierfellen
versteckte.
    Dann
verkündete er: „Der weiße Mann hat die Wahrheit gesagt. Er und seine Freunde
sind frei! Wird die weiße Squaw trotzdem noch über die Schlucht tanzen?“
    Ich
bat, es ihr zu erlassen. Doch Little Byrd sagte: „Auch eine Frau hält ihr Wort.
Ich werde die hohe Schlucht auf dem dünnen Seil überqueren. Es ist so dünn, daß
selbst das schärfste Adlerauge es von hier unten nicht wahrnehmen kann. So wird
es aussehen, als ob Little Byrd flöge — wie es ihr Name sagt. Keiner der
tapferen Krieger der Kalbfell-Indianer hat danach noch das Recht,
geringschätzig auf eine weiße Frau herabzublicken, denn keiner kann ihr das
nachmachen.“
    Ich
widersprach energisch, ja, ich flehte — doch Zirkus-Joe sagte mit
traurig-ängstlicher Stimme: „Es ist sinnlos, Mylord .
Was sie sich einmal in ihren kleinen Schädel gesetzt hat, bringt niemand wieder
heraus.“
    So
mußte ich nachgeben. Aber wenn sie stürzte, dann verstauchte sie sich diesmal
nicht nur den Fuß, dann brach sie sich den zarten Hals. Und daher litt ich.
    Ich
kann schwer schätzen, wie breit die Schlucht an ihrer schmälsten Stelle war.
Waren es dreißig, waren es fünfzig Meter oder sogar noch mehr? Wie auch immer,
ein Seil von solcher Länge ist sehr schwer, selbst wenn es sehr dünn ist. Um es
zu spannen, braucht man sowohl große Kraft als auch Geschicklichkeit.
    Zum
Glück hatten Zirkus-Joe und Little Byrd oft auf ausgedehnten Plätzen
gearbeitet, so daß die Länge ihres Seiles gerade ausreichte.

Der Tanz und das Duell
     
    Mit
diesem Seil schwärmten zwei Trupps athletischer Gestalten zu den Felswänden
aus, die so steil in den Himmel aufragten. Schon in der Talsohle spannten sie
das Seil. Dann klommen sie die Felsen beiderseits empor, die Enden des Seiles um
ihre Hüften geschlungen haltend. Langsam stieg es höher und höher und wurde
schließlich ein silberner Strich, bis es nicht mehr zu erkennen war. Wie hoch
es wanderte, erkannten wir nur an den Rothäuten, die gleich winzigen Ameisen an
den Wänden hingen.
    Ich
zog mein Fernrohr auseinander und stützte es in eine Astgabel.
    Oben
angekommen, stießen die Burschen Adlerschreie aus. Sie befestigten das Seil an
zwei mächtigen Tannen, die sich mit ihren Wurzeln in die dünne Erdkruste
krallten und schräg über der Schlucht hingen. Würden sie halten?
    Little
Byrd hatte inzwischen ihr weißes Kostüm mit dem kurzen Röckchen und den weißen
Ballettschuhen angezogen. Unwillkürlich fiel mir ihr Sturz in

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